Meine Geschichte dreier Städte

Momentaufnahmen einer Reise nach Dresden, Erfurt und Weimar

1. Dresden

 

Der erste Tag: Innere Neustadt

 

"Hey, hey, hey, ich war der Goldene Reiter

Hey, hey, hey, ich bin ein Kind dieser Stadt …"

  

Der Refrain dieses Liedes der Neuen Deutschen Welle aus den 1980er Jahren geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Keine Ahnung, wer es gesungen hat, und um was es darin ging. Aber jetzt steht er vor mir, der Goldene Reiter. Oder besser: ich stehe vor ihm, vor August dem Starken auf seinem sich aufbäumenden Hengst. Das 1736 enthüllte Standbild ist eines der Wahrzeichen Dresdens und glänzt in der Abendsonne des Neustädter Marktes.

 

Unser erster Tag in der Stadt. Wir sind auf einem kleinen Bummel durch die Innere Neustadt und über die Hauptstraße, diesen etwa 500 Meter langen Boulevard. Grünanlagen, Brunnen, Bänke und schattenspendende Platanen. In einer Seitenstraße die Neustädter Markthalle aus dem Jahr 1899. Nach der Beschreibung im Reiseführer hatte ich sie mir interessanter vorgestellt. Vor allem das Angebot (wenig Obst und Gemüse, Billigklamotten, Kitsch und teilweise gähnende Leere im 1. Stockwerk) enttäuscht, aber der Innenraum mit seinen schmiedeeisernen Treppen ist ganz nett – wenn auch nicht annähernd so schön wie manch andere alte Markthalle, die ich schon gesehen habe.

Zurück geht es über die Sarrasanistraße und vorbei am Sarrasani-Brunnen. Bis 1945 stand hier das Gebäude des Zirkus Sarrasani, der erste feste Zirkusbau Europas. Im Jahr 2007 errichtete man dann an dieser Stelle zu Ehren des Zirkus einen Brunnen, auf dessen Rand eine Elefantengruppe tanzt; der größte Elefant sprüht eine Wasserfontäne in den umgedrehten Regenschirm eines Clowns.

 

Eigentlich zauberhaft, aber ich sehe die Szenerie mit sehr gemischten Gefühlen. Dass Zirkus auch ohne Wildtiere geht, das hat Bernhard Paul mit seinem "Zirkus Roncalli" schon 1975 bewiesen.

 

… und über der Elbe geht die Sonne unter


 

Der zweite Tag: Busrundfahrt, Residenzschloss und mehr 

 

Über die Augustusbrücke, die viele Jahrhunderte lang die einzige Flussquerung in Dresden war, und die seit April 2017 denkmalgerecht saniert wird, geht es von der Inneren Neustadt zur Inneren Altstadt.

 

Wir sind nur zweieinhalb Tage in Dresden und haben uns, um einen Überblick zu bekommen, am zweiten Tag für eine große Stadtrundfahrt entschieden. Die Hop on - Hop off-Bustour, zu der auch ein Altstadtrundgang und eine Nachtwächtertour gehören, kostet ohne Vergünstigungen 20 Euro und beinhaltet 22 Stopps.

Wir starten am Zwinger und lassen uns von einem mürrischen, wortkargen Fahrer durch die Altstadt und vorbei am Großen Garten kurven. Die Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten kommen vom Band und sind nicht immer verständlich. Aber dafür haben wir einen wunderbaren Platz im ersten Stock des Doppeldeckers an einem offenen Fenster. Die Sonne scheint, vom anderen Ufer der Elbe winken die drei Elbschlösser, und wir bedauern, nicht auch Zeit für eine Tour mit einem der berühmten Schaufelraddampfer zu haben.

Wir überqueren die Elbe auf der "Blaues Wunder" genannten Loschwitzer Brücke, einem weiteren Wahrzeichen der Stadt, und fahren jetzt durch das Villengelände der Radeberger Vorstadt und vorbei an der Gedenkstätte Bautzner Straße, die einzige noch im Original erhaltene und für Besucher zugängliche Untersuchungshaftanstalt der Stasi in Sachsen. Ich habe unschöne Bilder im Kopf, fühle mich nicht mehr wohl. Eigentlich wollten wir die etwa zweistündige Runde ohne Unterbrechung durchfahren, aber wir brauchen jetzt eine Pause.

 

Da kommt uns die 18. Haltestelle an der Bautzner Straße wie gerufen. Hier steht die "Pfunds Molkerei", als "schönster Milchladen der Welt" seit 1998 im Guinness-Buch der Rekorde eingetragen. Der Firmensitz des Landwirts Paul Pfund aus dem Jahr 1891 ist in der Tat einmalig: deckenhoch dekoriert mit kunstvoll bemalten Fliesen von Villeroy & Boch, die Szenen aus der "Milchwelt" zeigen. 1995 wurde der Laden liebevoll restauriert und bietet jetzt Käsespezialitäten und andere Produkte aus Milch an. Und nach dem Rummel im Laden sind wir froh, im ersten Stock ein ruhiges Plätzchen zu finden. Bei Kaffee und Kuchen. 

 

 

Weiter geht die Fahrt mit einem der nächsten Busse. Sie fahren alle 30-60 Minuten, und wir haben Glück: dieser Busfahrer zeigt uns deutlich, dass es auch anders geht. Er ist freundlich und vergnügt, schaltet das Band nur ab und zu an und weiß in der Zwischenzeit hinreißend "frei Schnauze" zu erzählen. Ich will ihm ja nichts unterstellen, aber vielleicht lag das auch ein bisschen daran, dass wir seine letzte Fuhre für den Tag waren und er den Feierabend schon winken sah. Die Möglichkeiten, ihm eine gute Bewertung zu schreiben und ein Trinkgeld zu geben ließ er auch nicht unerwähnt.     

 

Die sächsische Hauptstadt strotzt nur so vor Sehenswürdigkeiten, von der Brühlschen Terrasse über die Frauenkirche und die Semperoper bis zum Zwinger.    

Wir hatten uns für eine Besichtigung des Residenzschlosses und seiner Kunstsammlungen entschieden, wobei mich primär das Neue Grüne Gewölbe lockte mit der Goldschmiedearbeit "Hofstaat zu Delhi am Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb", einem Meisterstück von Johann Melchior Dinglinger aus den Jahren 1701 bis 1708. 

 

Das filigrane, mit Unmengen von Diamanten, Rubinen, Smaragden und Perlen bedeckte Werk besticht nicht nur mit seiner Kunstfertigkeit, sondern auch mit einer erstaunlichen ethnologischen Genauigkeit. Oben ein Ausschnitt.

 

Und dann war es doch etwas Anderes, das mich richtig faszinierte, nämlich die Rüstkammer im Riesensaal und vor allem die "Türckische Cammer" mit einer der weltweit bedeutendsten Sammlungen osmanischer Kunst. Schon beim Betreten der Räume werde ich in ihren Bann gezogen. Ich bin alles andere als ein Waffennarr, aber schwarze Wände, gedimmtes Licht und in hell erleuchteten Vitrinen ausgestellte glänzende Ritterrüstungen, Harnische und Prunkwaffen sind ausgesprochen faszinierend. Staunend stehe ich auch vor acht aus Holz geschnitzten Pferden in Originalgröße, aber absoluter Höhepunkt ist das kunstvoll bestickte, sechs Meter hohe, acht Meter breite und zwanzig Meter lange osmanische Dreimastzelt aus Seide und vergoldetem Leder; angeschafft für eine Truppenschau Augusts des Starken im Jahr 1730. 

 

 

Auf dem Rückweg zum Hotel gehen wir noch am Fürstenzug vorbei, dieser Ahnengalerie sächsischer Fürsten und Könige, die auf knapp 25.000 gelb-weißen Meißener Porzellankacheln außen am Stallhof zu sehen ist – und besichtigen die Frauenkirche, die ich innen potthässlich und kitschig finde.

 

Zur Strafe öffnet der Himmel seine Schleusen, als wir die Frauenkirche verlassen, aber etwas später kommt hinter dem Schlossturm wieder die Sonne hervor, und über der Elbe versöhnt uns ein Regenbogen.

 


 

Der dritte Tag: Dresdner Heide

 

"Wolf und Mensch in der Dresdner Heide" heißt die WWF-Erlebnistour, die wir bereits im Frühjahr gebucht hatten, und die der eigentliche Grund für unsere Tour in die östlichen Bundesländer war.

 

Die Dresdner Heide ist keine Heidelandschaft im eigentlichen Sinn, sondern ein rund 50 km² großes Waldgebiet im Nordosten der sächsischen Landeshauptstadt und damit einer der flächenmäßig größten Stadtwälder Deutschlands. Die Heide stellt die grüne Lunge der Stadt dar und ist von zahlreichen Wanderwegen durchzogen. Seit 1969 besitzt sie den Status eines Landschaftsschutzgebietes.

 

Morgens um 10 Uhr treffen wir uns am Bahnhof Klotzsche, um 6 bis 7 Stunden lang mit der Wildnispädagogin Anne Wiebelitz auf der Spur der Wölfe unterwegs zu sein. Wir, das sind knapp ein Dutzend Erwachsene, ein Teenager, ein Kleinkind und ein Hund. Eine buntgemischte Truppe also. 

 

Nicht alle haben sich vorher mit dem Thema Wolf beschäftigt, aber alle sind interessiert an dem, was Anne zu erzählen hat. Und während wir an dem Flüsschen Prießnitz entlangwandern, erfahren wir, dass hier – 400 Jahre nach der Ausrottung der Wölfe – im Jahr 2019 wieder ein Wolfsrudel nachgewiesen wurde. Neben vielen anderen Tieren gibt es Füchse und Dachse in der Dresdner Heide, Rothirsche, Rehe und Wildschweine, wobei die beiden Letztgenannten die bevorzugten Beutetiere der Wölfe sind. 

 

Niemand von uns erwartet, einen Wolf zu sehen, dazu sind diese viel zu scheu und ihr Revier besonders am Wochenende von erholungssuchenden Menschen ziemlich überlaufen.

 

Aber wir halten Ausschau nach Spuren und nach Wolfslosung. Ihren Kot deponieren Wölfe gerne als Reviermarkierung gut sichtbar auf Wegen und an Wegkreuzungen. Er weist meist typische Merkmale auf bezüglich Größe, Form, Geruch und Inhalt wie Haaren und Knochenstücken. Sowohl Losung als auch Trittsiegel des Wolfes sind nicht immer von denjenigen eines Hundes zu unterscheiden; endgültige Klarheit bringt letztendlich nur ein teurer Gentest. So viel zur Theorie.

 

 

Anne weiß mit ihrem Wissen und ihrer Begeisterung für den Wald, für Flora und Fauna, mitzureißen. Ihre Schwerpunkte sind das Zusammenleben mit Wildtieren, Vogelsprache, Fährtenlesen und Wildpflanzen. Sie hat ihr eigenes Unternehmen ("bewandert") aufgebaut, und seit 2014 arbeitet sie mit dem WWF zusammen.

 

Anne wäre keine Wildnispädagogin, würde sie uns nicht auch die andere, die eigentliche Seite des Waldes erleben lassen. Und so motiviert sie uns, einen einsamen Platz außerhalb der Sichtweite der anderen zu suchen, uns dort hinzusetzen und einfach nur zu hören und zu sehen; natürlich bei ausgeschaltetem Handy.

 

Nach einer halben Stunde ruft sie uns wie vorher angekündigt wieder zurück. Offensichtlich haben einige aus der Gruppe so etwas noch nie gemacht, aber beeindruckt auf irgendeine Art und Weise scheinen nahezu alle.

Mein Tipp: probiert's mal aus! 


Damit gingen interessante und ereignisreiche Tage in Dresden für uns zu Ende. Und die Stadt verabschiedete sich von uns auf originelle Weise: am letzten Abend gab es ein imposantes Feuerwerk über der Elbe. Direkt vor unserem Hotelfenster.

 

 

© 2021


 

Quellen:

Wikipedia

Beate Reußner und Jürgen Bosenius: City Trip Dresden (Reise Know How). 2019

 

 

 

 

 

 

 

 

           

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Kommentare: 3
  • #3

    Tina( namibiafan/lioness) (Sonntag, 03 Oktober 2021 11:08)

    Dresden, davon schwärmt einfach jede*r! Und doch war ich noch nicht dort.Was hält mich ab? Angst vorm Rummel, Angst vor der Gesinnung vieler Einwohner*innen...Ja, da sind viele negative Bilder in meinem Kopf.
    Du hast das nun stark relativieren können mit deinem lebhaften,ehrlichen Bericht. Vielleicht sollt ich der Stadt doch auch eine Chance geben,mich zu begeistern :)
    Weimar hat mich jedenfalls schon mehrmals angezogen. Und so bin ich gespannt, wie Weimar im Vergleich zu Dresden bei dir ankam.
    Danke schonmal für diese Rückschau!
    Gruß,Tina

  • #2

    Blula (Mittwoch, 29 September 2021 17:25)

    Hallo, Beate, hier habe ich Dich wieder sehr gern begleitet, zumal ich Dresden auch noch immer nicht kenne. Ja, ja, shame on me !!!
    Aber natürlich will ich das nun wirklich alsbald mal nachholen und dann werde ich mich gewiß an diese lebendige Schilderung von Dir erinnern. Danke dafür... ( und es geht ja noch weiter ;-))

  • #1

    Ildiko (Montag, 27 September 2021 20:32)

    So wie für dich die Wölfe war für uns das Stasi-Gefängnis Kernstück der Dresdenreise, enge Familienmitglieder haben dort gesessen. Ich habe es immer auf diese beklemmenden Eindrücke geschoben, dass mir im Anschluss die Frauenkirche überhaupt nicht gefallen hat, innen nicht aber auch der ganze Platz nicht. Habe mir damals viel Unverständnis dafür eingehandelt - umso befriedigender finde ich nun deine Meinung dazu ;-)