Eintrag vom 12. Mai 1944 im Gästebuch:
"Love many,
Trust a few,
Learn to paddle
Your own canoe."
Das erste Gästebuch hatte ihr ein Freund 1934 geschenkt. Da war sie 52 Jahre alt und hatte zwei Jahre zuvor das Haus geerbt: Miss Elisabeth Angela Vaughan, von ihrer Mutter liebevoll "Elsie" gerufen.
"Das Haus", das ist Cliff Cottage in Laugharne, Wales, das wir im April 1996 für eine Woche gemietet hatten. Weiß leuchtend thront es hoch auf den Klippen und bietet einen großartigen Blick auf den Mündungstrichter des River Taff und auf den blauen "writing shed" von Dylan Thomas. Sein Wohnhaus, das bekannte "Boat House" steht gleich nebenan.
Im Inneren des über 100 Jahre alten Cliff Cottage erwartet uns dann das volle Kontrastprogramm zu seinem schlichten Äußeren: ein aufregend verwinkeltes Geflecht von Räumen, die alle in einer anderen, kräftigen Farbe gestrichen sind. Blau, grün, gelb, orange - und alles passt hervorragend zusammen und wirkt sehr harmonisch.
Unzählige Bilder, Teller und Erinnerungsstücke schmücken die Wände. Überall stehen schöne, alte Möbel - und vor allem: Bücher. Über 700 sind es, die jeden Raum bis hin zur Gästetoilette erobert haben. Alte Bücher, Gedichtbände, Bildbände und Sachbücher, oft Erstausgaben.
Ein erster Blick auf das Leben von Miss Vaughan, hat sie doch in viele mit ihrer gestochen schönen Handschrift Gedichte geschrieben oder Anmerkungen gemacht, manchmal auch über denjenigen, der ihr das betreffende Buch geschenkt hat.
Beim Blick in ein Kochbuch, das sie Weihnachten 1929 erhielt, lese ich mit Schmunzeln:
"Given me by a very kind elderly Scottish Gentleman –
who hoped that I would first study it carefully, + …Then marry him! (I did neither.) E.A.V.
"Sun Room"
Am interessantesten jedoch zeigen sich die Gästebücher, denn sie bieten einen guten Einblick in das Leben von Miss Vaughan. Die emanzipierte Lady lebte offensichtlich eine Zeitlang mit einem Partner in "wilder Ehe", war aber nie verheiratet. Ihr genügte es, zu reisen, ihr Cottage gemütlich einzurichten und sich mit Büchern und Freunden zu umgeben. Im Sommer 1955 notierte sie in ihrem Gästebuch:
"Real friends are one's greatest wealth in Life."
Ich kann sie mir sehr gut vorstellen, wie sie hinter den großen Fenstern des "Sun Room" sitzt und auf das Ästuar schaut, wo sich nahezu stündlich die Stimmung ändert. Anderes Licht, andere Formen, andere Farben, andere Seevögel. Das Wasser kommt und geht, legt die Sandbank frei. Alles sehr langsam und meditativ. Und nachts die Sterne.
In das "Bedside Book of Irish Saints" von Aloysius Roche schrieb die Frau, die die Nacht so liebte:
"Be Glad of Life,
because it gives you the chance
To Love
+ To Work
+ To Play
+ To look up at the Stars"
"Dining Room"
Elsie schreibt, liest viel und träumt. Mitte der 1950er und Anfang der 1960er Jahre renoviert sie mit Hilfe ihrer Freunde das Cottage. Randbemerkung der Hausbesitzerin in ihrem Gästebuch:
"Patience is a Virtue".
Sie kocht für ihre Freunde und sitzt mit ihnen an dem riesigen Tisch im "Dining Room", plaudert, diskutiert und lacht. Bei einem guten Wein oft bis spät in die Nacht. In diesem Raum ist der kreative und kommunikative Geist des Cliff Cottage besonders gut zu spüren.
Aber Elisabeth Angela war nicht nur eine hübsche, belesene, humorvolle und liebenswürdige Frau, sondern konnte auch streng und konsequent sein. Ihren Nachbarn Dylan Thomas schien sie nicht besonders zu schätzen. Sein Buch "Under Milk Wood" ist zwar auf einem Regal im "Sun Room" zu finden, allerdings mit einem Zeitungsausschnitt darin, auf dem zu lesen ist:
"His [also Dylan Thomas'] greatest pleasure was to humiliate people. I interpreted his poetry in the same way. It seemed to me sham, written to show those who admired it as fools." Kein Wunder, dass Miss Vaughan ihn nicht mochte.
Und im Jahr 1954 bestand sie ihren "fight" mit den Elektrizitätswerken, die einen Lichtmast vor das Cottage setzen wollten und damit die traumhaft-schöne Aussicht auf das estuary verdorben hätten.
Besonders wohl in Cliff Cottage fühlte sich Elisabeths Neffe Roger Morgan, der Sohn ihrer Schwester Hilda. Der Bibliothekar erbte im Jahr 1981 das Cottage und lebte fortan mit seiner Familie hier, pflegte den Garten, zeichnete viel und bewirtete wie seine Tante gerne Gäste. Er war es auch, der damit anfing, das Cottage zu vermieten.
"Goodbye to 1962" ist der letzte Eintrag von Miss Elisabeth Angela in ihrem Gästebuch. Sie verstarb am 17. Mai 1978 im Alter von 91 Jahren und wurde neben ihrer Mutter und ihrer Schwester auf dem Friedhof von Disserth bei Llandrindod Wells beerdigt. Aber in diesem Cottage in Laugharne lebt sie weiter.
© 2024
Postkarte aus dem frühen 20. Jahrhundert. Von links nach rechts: Cliff Cottage, Cliff House, Boat House
Wenn Ihr etwas dazu schreiben möchtet: gerne! Nur zu!
Anne (Montag, 27 Mai 2024 18:02)
Meer, Wolken, Sonnengelb und "Knatschblau" > was ist das denn für ein Knaller!? Und dann die wohlgesetzten Verse von Elsie, harmonisch verpackt in Deine Beobachtungen, liebe Beate. Ein wirkliches wunderbares Feierabend"schmankerl"; ich höre das Kreischen der Möwen, fühle die Gischt und atme salz- und jodhaltige Luft ein und der Jobstress verschwindet nachgerade im imaginierten Nebel :-).
Herzlichen Dank fürs Teilen dieser "memories".
Hedi (Montag, 27 Mai 2024 10:25)
Was muss das für ein atmosphärisch dichter Aufenthalt gewesen sein. Ich fühle, dass du komplett in das Lebensgefühl der 30er und 40er Jahre eingetaucht bist. Da lacht das anglophile Herz! Und dann noch Dylan Thomas als allerdings wenig geschätzten Nachbarn.
Ich habe mich entzückt in deine Erzählung fallen lassen und stelle mir lebhaft vor, wie Dorothy L. Sayers in Gesellschaft von Lord Peter Wimsey zu Besuch ist.
Vielen Dank für die Lektüre mit den schönen Fotos.
Miss Vaughan muss eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein.