Künstler, Hirschbrunft, Kranichrast

Eine Herbstwoche in Ahrenshoop

Hafen in Ahrenshoop, Ortsteil Althagen. Im Hintergrund eines der berühmten Zeesboote

 

Fischland-Darß-Zingst. Der sperrige Name steht für eine 50 Kilometer lange, stellenweise nur 500 Meter schmale Halbinselkette. Ursprünglich waren es drei einzelne Inseln, die aber durch Schließung der schmalen Flutrinnen im 14. und im 19. Jh. dauerhaft zusammenwuchsen. Ein Damm bzw. eine Landenge verbindet sie mit dem Festland. 

Fischland, Darß und Zingst entstanden nach der letzten Eiszeit, aber das Land ist nach wie vor im Wandel, den Wind und Meer schaffen. An stürmischen Tagen kann man regelrecht dabei zusehen, wie die Wellen an das Hohe Ufer des Fischlandes schlagen, und das Meer sich das Land holt. Strömung und Wellen tragen den erbeuteten Sand nach Norden, wo er sich vor allem am Darßer Ort wieder ablagert und das Land in die Ostsee wachsen lässt.

 

Ahrenshoop: Hohes Ufer

Buhnen und Steinwälle

 

So verändert sich die Küstenlinie hier im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft stetig. Wo vor Jahrhunderten Sandbänke waren, wächst heute ein Buchenwald. Und während man in Ahrenshoop Steinwälle in der Ostsee aufschüttet und Buhnen baut, verzichtet man im mit 786 Quadratkilometer drittgrößten Nationalpark Deutschlands auf Küstenschutz und lässt den Kräften der Natur freien Lauf. 

Mit etwas Glück kann man hier Kegelrobben und Seehunde beobachten, dazu viele Vogelarten, Rehe und Wildschweine. Highlights im Herbst sind die Hirschbrunft und rund 60.000 Graukraniche, die auf ihrem Weg in den Süden hier Station machen. 

 

Dünenlandschaft am Darßer Ort

Seit Jahrhunderten lockt die Halbinsel mit ihrer Natur, mit ihrem besonderen Licht und mit ihrer Lage zwischen Ostsee und Bodden die Menschen an, unter ihnen auch viele Künstler. So zogen Ende des 19. Jahrhunderts Maler und Malerinnen in das noch unbekannte und bitterarme Ahrenshoop, um der Großstadt zu entfliehen und sich der Freilichtmalerei zu widmen. Im Jahr 1894 gründete Paul Müller-Kaempff eine private Malakademie, das Künstlerhaus Lukas in der Dorfstraße. Die Villa steht noch heute, und Stipendiaten aus Bildender Kunst, Literatur, Tanz und Musik können hier einige Wochen wohnen und eigene Projekte entwickeln. Ausgestellt werden diese dann oftmals im Neuen Kunsthaus Ahrenshoop und an verschiedenen Stellen im Ort.

 

 

Wir haben uns Ahrenshoop als Standort für unseren Aufenthalt gewählt. Der kleine Ort mit seinen 639 Einwohnern (Stand: 31. 12. 2021) liegt am Übergang vom Fischland zum Darß, ist mit Künstlergeschichte gespickt und platzt nahezu vor Kreativität. Zahlreiche Ausstellungshäuser, Ateliers und kulturelle Veranstaltungen prägen das Leben von Einheimischen und Besuchern.

Der Bau des noch heute existierenden Kunstkatens im Jahr 1909 war dabei von großer Bedeutung für die Künstlerkolonie, weil die Künstler hier erstmals ihre Arbeiten ausstellen und zum Verkauf anbieten konnten.

 

Fischland-Keramik im Dornenhaus 

 

Einen neuen Anziehungspunkt bietet das im Jahr 2013 eröffnete Ahrenshooper Kunstmuseum. Das architektonisch bemerkenswerte Haus wird als "gelungene Ode an die Künstlerkolonie" gelobt. 

 

 

Im Kunstmuseum mit seinen Gemälden, Grafiken und Skulpturen fesseln mich ganz besonders die so unterschiedlichen Bilder von Alfred Partikel, dem ich hier erstmalig begegne. Auch seine Lebensgeschichte ist ausgesprochen interessant.

Der Künstler wurde 1888 in Goldap/Ostpreußen geboren und lebte ab Mitte der 1920er Jahre in Ahrenshoop, während er gleichzeitig an der Königsberger Kunstakademie lehrte. Seine Studenten verehrten ihn, ebenso wie die Ahrenshooper Dorfkinder, denen er das Malen beibrachte. Sein lebenslanger Freund, der Bildhauer Gerhard Marcks, schrieb über Partikel "Wenn Maler, dann Landschaftsmaler - man konnte sich ihn nur einsam in der Natur versunken malend vorstellen." 

Im Jahr 1937 beschlagnahmten die Nazis zehn Werke Partikels als "entartete Kunst"; Alfred Partikel selbst machte sich aus dem zerstörten Königsberg im Januar 1945 auf einem Fahrrad auf die Flucht nach Ahrenshoop. Am 20. Oktober desselben Jahres ging er auf der Suche nach Pilzen wie so oft ins Ahrenshooper Holz, einen urwüchsigen Wald - und kehrte nicht mehr zurück.                                                                                               Bild: Waldinneres, um 1936

 

Das halbe Dorf suchte das Unterholz ab, und sogar die Russen, die auf der Halbinsel ihre Kommandanturen hatten, durchkämmten den Wald. Ergebnislos; auch Partikels Leichnam wurde nie gefunden.

 

Das riesige Gemälde "Alter Schifferfriedhof in den Dünen" von Paul Müller-Kaempff aus dem Jahr 1893 macht uns neugierig auf die Schifferkirche und den kleinen Friedhof von Ahrenshoop. Hier liegen neben den einheimischen Fischern und Kapitänen einige Schauspieler und Schriftsteller, aber vor allem Maler, die das Dorf berühmt gemacht haben. Ein Gang über den verwinkelt angelegten Friedhof wird damit auch zu einem kleinen Rückblick auf über 125 Jahre Kunstgeschichte.

 

Grab von Wolfgang Schreyer, einem der erfolgreichsten Autoren der DDR-Literatur

 

Unsere Woche Herbsturlaub in Ahrenshoop ging leider viel zu schnell vorbei, aber trotzdem hatten wir noch Zeit für Aktivitäten außerhalb der Künstlerkolonie.

 

Wir wanderten im Naturschutzgebiet Ribnitzer Großes Moor, zur Kranichbeobachtung besuchten wir das "Kranorama" am Günzer See und schipperten von Zingst aus über den Bodden, im Darßwald erlebten wir auf einer etwa 12 Kilometer langen Rundwanderung unsere erste Hirschbrunft, wir genossen die wilde Schönheit des Darßer Weststrands, machten einen kleinen, informativen Roadtrip über die Insel - und die Autorin gönnte sich das Vergnügen, in Wustrow Klamotten zu shoppen. Aber all dies sind andere Geschichten, die vielleicht später einmal erzählt werden.

 

 

© mamatembo 2022

 

Quellen: 

  • Wikipedia 
  • Claudia Banck: Fischland Darß Zingst. DuMont. 3., aktualisierte Aufl. 2022
  • Gunnar Herbst und Maximilian Mann: Ostsee. Freies Spiel. In: "Stern" vom 14. 07. 2022 
  • Kristine von Soden: Ahrenshoop. Balancieren auf der Meerschaumlinie. Transit Verlag. 3., überarb. und aktualis. Aufl. 2021

Kommentare: 6
  • #6

    Die2wagners (Samstag, 02 September 2023 18:46)

    Schon vor langer langer Zeit gelesen und nie vergessen!
    Morgen werde ich die Gelegenheit haben und schau mir alles selbst an ;D
    Wir freuen uns auf jeden Fall drauf. VG Angelika

  • #5

    Daniela (Dienstag, 29 November 2022 12:23)

    Mein Fernweh ist geweckt. Ob sich das Rätsel um Alfred Partikel irgendwann noch löschen wird? Und welche Maße hat dieser grandiose Grabstein? Auch der Klamottenkauf in Wustrow klingt spannend. Vielen Dank für diesen atmosphärischen Reisebericht...ich habe Ahrenshoop direkt auf unsere to-do-Liste gesetzt. Liebe Grüße und bis hoffentlich bald wieder hier auf dieser Seite!

  • #4

    Blula (Mittwoch, 02 November 2022 13:41)

    Wieviel die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst an der Ostseeküste zu bieten hat, das kann man Deinem schönen Bildbericht nur zu gut entnehmen. Wer Ruhe, Erholung und Entschleunigung sucht, der ist hier sicher genau richtig, denn diese vorpommersche Boddenlandschaft bietet ja offenbar eine ungeheure Nähe zur Natur. Kein Wunder, dass sich auch Künstler schon immer von dieser Landschaft angezogen fühlten und sich hier niedergelassen haben.
    Auch mein Interesse hast Du nun geweckt. Danke dafür.

  • #3

    Anne (Montag, 31 Oktober 2022 21:00)

    Traumhaft schön! Ich will umgehend eine SOFORTRENTE und dahin aufbrechen. Eine klasse Mischung aus Natur, Landschaft und Kunst, das Meeresrauschen versuche ich auch im fernen Frankfurt zu hören. Und sich einen Bücherstapel als Grabstein zu schaffen, hat für mich "Büchertante" natürlich auch was :-).
    Schön, liebe Beate, dass ich aufgrund Deiner tollen Fotos immer mit "dabei" sein darf.
    Bin schon gespannt auf Euren nächsten Trip.

  • #2

    Hedi (Montag, 31 Oktober 2022 15:35)

    Liebe Beate,
    Was für ein schöner Bericht, der einem Ahrenshoop und Umgebung unmittelbar nahe bringt. Der Norden/Osten Deutschlands ist schön, man muss es nur sehen wollen und können.
    Ich will da auch hin ...
    Deine Fotos sind wie immer mehr als sehenswert.
    Ganz liebe Grüße auch aus dem Norden von
    Hedi
    PS: Die alte Kunstkate gefällt mir besser als das neue Kunstmuseum, jedenfalls von außen!

  • #1

    Juanita (Montag, 31 Oktober 2022 12:43)

    Danke für die kurzweilige Mittagspause. Ich war zweimal selbst in Ahrenshoop und finde es ganz besonders.