"Es gibt mehr Dinge im Universum

als wir mit unserem Tricorder scannen können."

 

Lt. Chakotay, Raumschiff Voyager

 


Songlines

Auf den Spuren der Aboriginals durchs Red Centre

 

Vorbemerkung:

Was den politisch korrekten Namen für die Ureinwohner Australiens betrifft, so habe ich mich an die englische Sprache gehalten:

der Name "Aborigines" gilt im Englischen als abwertend und wird durch "Aboriginal" ersetzt. Andere gängige Bezeichnungen sind "First Australians" und "Indigenous People".

 

In der Besucherbroschüre des Uluru-Kata Tjuta-Nationalparks wird nur von "Aboriginal" gesprochen, und unser guide Wally Jacob lehrte uns, dass sich die Ureinwohner selbst weder Aboriginals noch Aborigines nennen, weil sie kein einheitliches Volk sind. Die "ersten Australier" am Uluru z. B. bezeichnen sich selbst nur als Anangu.

 

              guide Wally aus dem Volk der Pitjantjatjara vor uralten Felszeichnungen am Uluru


"Songlines", das sind die Gesänge der Aboriginals, die von Generation zu Generation weitergegeben werden und eine unsichtbare, mythische Landkarte Australiens ergeben.

 

Jeder Ureinwohner trägt diese detaillierte Karte des Landes und seiner Mythen mit sich, und nach sechs Tagen durchs Red Centre bewahre auch ich nun einen kleinen Teil von ihr im Kopf und vor allem im Herzen …

 

 

Tjukurpa, die Traumzeit

 

Guide Wally erklärt uns alte Felsmalereien und führt uns in die Lehre von Tjukurpa ein, dem uralten Gesetz und der Schöpfungsgeschichte der Anangu, von der wir schon als „Traumzeit“ gehört haben.

 

In der Vorstellung der Ureinwohner Australiens war das Land schon immer da und lag flach dort, bis die Wesen der Tjukurpa sie durchstreiften. Diese Wesen waren Heroen mit menschlichen oder tierischen Zügen, wie z. B. die Regenbogenschlange, die jetzt an einem See nördlich des Uluru lebt. Und sie wanderten quasi die Welt ins Leben.

 

Die Landschaft ist ein Produkt dieser Reisen, denn beim Wandern warfen die Urwesen Berge auf, schufen Wasserlöcher und Flüsse und ließen Felsbrocken fallen. Die Wesen erschufen aber auch die Menschen, gaben ihnen das Wissen und die Gesetze.

 

Für die Aboriginals ist Zeit eine Illusion, und so existiert die Traumzeit in der Realität neben der unsrigen und ist damit eine Art Paralleluniversum, in dem die Erde entstand, war, ist und sein wird.

 

Das Wissen von Tjukurpa wird in Erzählungen und Gesängen weiter gegeben. Nur eingeweihte Frauen und Männer beherrschen die Sprache der Songlines oder Traumpfade, die sozusagen gesungene Landkarten sind und so detailgetreu, dass man sich bei Wanderungen an ihnen orientieren kann.

 

 

Hier am Uluru (früher Ayers Rock) befinden wir uns am Knotenpunkt dieser unsichtbaren Songlines, die den Spuren der Schöpferwesen folgen. Und wir versuchen, diese komplexe spirituelle Welt wenigstens ansatzweise zu verstehen.

 

Kata Tjuta (Olgas)

 

32 Kilometer westlich des Uluru befinden sich die 36 steilen und zerklüfteten Inselberge der Olgas, die die Anangu "Kata Tjuta", die "vielen Köpfe" nennen.

 

Der "Valley of the Winds Walk" ist acht Kilometer lang und führt durch verschiedene Felstäler, die der Regen vor einer Woche in einen Blütenteppich aus Wildblumen verwandelt hat. Wir durchwandern diese spektakuläre, felsige Landschaft und wissen, dass wir auch hier auf heiligem Gebiet der Ureinwohner sind und den ausgeschilderten Weg nicht verlassen dürfen.

 

Bei den Anangu gibt es Kulte und Orte, die für Männer verboten sind und solche, die bei Strafe nicht von Frauen angesehen werden dürfen.

 

Die Kata Tjuta und ihre Schöpfungsgeschichte sind das Geheimnis der Väter und Söhne, und das Besteigen der Kuppeln ist für Frauen und Fremdlinge verboten. Hier halten die Männer ihre Initiationen ab, bei denen ihnen die Lieder gegeben werden. Diese Lieder sind oft mehr als 100 Strophen lang, und es gilt als Verbrechen, auch nur eine davon zu vergessen oder in der falschen Abfolge zu singen. 

 

So sind viele dieser teils schmerzhaften Initiationen und etwa 30 bis 40 Jahre nötig, bis ein Kind zum Wissenden wird.

 

Und nur wer das richtige Lied am richtigen Ort und in der richtigen Weise anstimmt, der kann in die Traumzeit eintreten.

 

Kings Canyon

 

Im Watarrka Nationalpark, etwa 300 Kilometer nördlich von Uluru und Kata Tjuta liegt der Kings Canyon, die größte und bizarrste Schlucht des Landes.

 

Auf zwei Wanderrouten kann man diesen "Grand Canyon Australiens" besichtigen: der "Kings Canyon Walk" ist 6 km lang und geht über einige Plateaus um den Canyon herum. Am Beginn der Strecke ist ein steiler Anstieg zu überwinden, der sich als "Heartattack Hill" einen Namen gemacht hat.

Wegen der Temperaturen und der Tageszeit entscheiden wir uns für die zweite Variante, den "Kings Creek Walk". Dieser Wanderweg hat eine Länge von 2,6 km und führt durch das Bachbett des Kings Creek im Canyon.

 

Für das Volk der Luritja, die Hüter des Nationalparks, ist der Kings Creek ein ganz besonderer Platz. Wir wandern auf dem "cat dreaming track" durch das Tal und folgen damit den Songlines der Kuningka (Katzenmenschen), die während der Traumzeit längs des Baches wanderten und am Fuße des Wasserfalles ihre Zeremonien abhielten. 

 

Die Bäume hier sind heilig und dürfen nicht angerührt werden; nie käme ein Aboriginal auf die Idee, ihre Früchte zu ernten oder gar einen Coolamon (eine Schale, die als Transportbehältnis für verschiedenste Sachen dient) daraus zu fertigen.

 

 

Auch für uns hat dieser Weg etwas Magisches: durch das Spiel von Licht und Schatten in der Schlucht führt er vorbei an versteckten Billabongs (Wasserlöchern) und den weißen Stämmen der Ghost Gums, einer Eukalyptusart. Neben uns zerklüftete und bis zu 300 Meter hohe rote Sandsteinwände, und ganz oben der stahlblaue Himmel.

 

© 2006