Wo sprudeln dir frischer die Quellen des Lebens
als auf Reisen, wenn im Bilderstrom der Welt
du selig dahintreibst.
Carl Peter Fröhling
Erste Tage in Bergen
Die Reise fängt gut an. In Bergen auf dem Flughafen schnappt sich eine norwegische Lady meinen auffälligen, knallroten Koffer vom Gepäckband und strebt damit fröhlich dem Ausgang entgegen. Nur mit einiger Mühe kann ich sie überzeugen, dass dieses Exemplar das meinige ist, und sie auf einen anderen roten Koffer warten muss.
Bergen gefällt uns auf Anhieb. Die Leute sind freundlich und relaxed, und fremde Gepäckstücke nehmen sie auch nur aus Versehen mit.
Wir haben uns ein Hotel im ehemaligen Hanseviertel Bryggen ausgesucht, im Herzen der Stadt. Die alten, hölzernen Lagerhäuser, die nach mehreren Bränden stark beschädigt waren, wurden immer wieder aufgebaut und sind seit 1979 UNESCO-Weltkulturerbe. So entwickelte sich das Viertel, das schon abgerissen werden sollte, zum beliebten Touristenziel, und die bunten Fassaden der ehemaligen Handelskontore am Kaiufer wurden zum Erkennungszeichen von Bergen.
"Heute ist Bryggen ein Zentrum für Künstler und ein Restaurantviertel" steht in meinem Reiseführer (aktualisierte Neuauflage 2020/2021), aber wir erleben es leider ziemlich verlassen.
Mit dem Ausbleiben der Touristen wegen Corona mussten viele Shops schließen, und die Häuser stehen leer. Eine kleine (geschlossene) Galerie sehen wir auf unserem ersten Rundgang, eine Töpferei, einen Laden mit Steinen und Versteinerungen. Der Pub hat dichtgemacht, und an zwei geschlossenen Läden mit norwegischen Souvenirs hängt ein Schild, das Auskunft darüber gibt, wo man bei Bedarf den Shopbesitzer finden kann.
Die Pandemie mit ihren Reisebeschränkungen und Lockdowns hat eine Geisterstadt aus dem ehemals bestimmt quirligen Viertel gemacht. Viele Läden, die Souvenirs für Touristen anboten, gingen bankrott, erklärt mir ein Ladeninhaber. Sein Geschäft überlebte nur, weil er als zweites Standbein auch Designermöbel verkauft. Und da während des Lockdowns viele Norweger ihre Häuser und Wohnungen renovierten und neu möblierten, konnte er hier noch einen Gewinn machen und musste seinen Souvenirladen nicht schließen.
Pandemie und Besucherschwund haben aber auch ihr Gutes: weil viele Häuser jetzt leer stehen, nutzt man die Gelegenheit, diese zu sanieren und zu renovieren. In ein paar Jahren wird das Viertel bestimmt wieder das Schmuckstück sein, das es einmal war. Und wieder überlaufen.
Wir nützen die Gunst der Stunde und ergattern tatsächlich noch ohne Reservierung einen Tisch im beliebten "Bryggeloftet & Stuene"- Restaurant. Nur Einheimische sind heute hier, es ist gemütlich warm, die Bedienung freundlich und sowohl das Rentier als auch die vegetarische Lasagne sind ausgesprochen lecker. Der südafrikanische Rotwein sowieso.
Wir sind schlau und sitzen gemeinsam mit einem ebenso schlauen niederländischen Paar schon einen Tag vor Auslaufen unseres Schiffs im Hurtigrutenterminal, um in Ruhe einen Coronatest machen zu lassen. Der ist auch bei Geimpften und Geboosterten Vorschrift und soll täglich hier veranstaltet werden. Nicht so heute. Zur angegebenen Zeit erscheint niemand, der uns testen könnte. Wir wollen Hurtigruten anrufen, aber das gestaltet sich als ausgesprochen schwierig: seit die Engländer die Reederei übernommen haben, gibt es kein Büro mehr in Bergen. Und die Jungs und Mädels in London haben null Ahnung. Als wir Vier nach vielem Hin und Her endlich unverrichteter Dinge das Terminal verlassen wollen, ist dieses abgeschlossen, und wir finden uns gefangen hinter riesigen Glaswänden. Leichte Panik. Zu unserem Glück erkennt ein pfiffiger Taxifahrer unsere missliche Situation und öffnet für uns eine Stahltür in der hintersten Ecke des Gebäudes. Diese Tür steht immer offen, und das weiß offensichtlich jeder Norweger.
Am nächsten Tag klappt das Testen dann ohne Probleme, kostet aber Nerven, bis das Ergebnis endlich vorliegt: beide negativ! Zwei kleine gelbe Zettel pro Person dienen als Beweis und als Fahrkarten fürs Schiff und in den Norden. Keine Ahnung, was wir gemacht hätten, wäre eine/r von uns positiv getestet worden und hätte an Land bleiben müssen.
Was war das Reisen in früheren Zeiten doch einfach!
Und dann läuft unser Schiff, die MS Polarlys, in Bergen ein und zeigt uns erst einmal ihr Hinterteil – pardon: ihr Heck. Wir nehmen es als gutes Zeichen für unsere Reise und begeben uns an Bord.
MS Polarlys
Die MS Polarlys ist ein Schiff der Hurtigrutenflotte. Diese traditionelle Postschifflinie verbindet seit 1893 die wichtigsten Orte der norwegischen Westküste. 1984 wurde der eigentliche Postverkehr eingestellt, und die Schiffe fahren heute als kombinierte Fracht-, Passagier- und Kreuzfahrtschiffe in 12 Tagen die 4.900 Kilometer lange Strecke von Bergen nach Kirkenes und zurück.
Unser Schiff wurde 1996 in Norwegen gebaut und im Jahr 2016 modernisiert. 619 Passagiere darf es befördern, aber es gibt nur 218 Kabinen, da viele Norweger das Schiff zu Fahrten zwischen den Küstenorten wie ein öffentliches Verkehrsmittel benutzen und keine Kabine benötigen. Zwei Restaurants befinden sich an Bord, ein Bistro und ein gemütliches Café, die "Multe Bakeri". Sauna und Fitnessraum ignorieren wir, und während ganz Tapfere in einen der beiden Außen-Whirlpools steigen, halten wir uns lieber in der Panorama-Bar mit ihren gemütlichen Drehsesselchen auf.
Die Anzahl der Passagiere ändert sich zwar täglich, aber mit uns reisen coronabedingt statt etwa 400 nur 190 Personen. Das bedeutet, dass wir überall und immer ein schönes Plätzchen finden.
Bei den Reisenden sind die Deutschen (wen wundert's?) in der Überzahl, und so gönnen wir uns die verschiedenen Vorträge meist in englischer Sprache, da gibt es oft nur eine Handvoll Zuhörer und keine Probleme mit dem Abstandhalten. Das Expeditionsteam begleitet nicht nur bei verschiedenen Wanderungen und Besichtigungen an Land, sondern hält auch Vorträge über Geschichte und Kultur Norwegens und organisiert verschiedene Events wie beispielsweise das Filetieren von Lachs, die Präsentation von Stockfisch oder die Verkostung von frisch gefangenen Muscheln, die aus verständlichen Gründen alle auf dem Außendeck stattfinden.
Ein weiteres Highlight ist die Verpflegung an Bord: die gesunde und kreative "Coastal Kitchen" arbeitet mit frischen Produkten der Region. Fischliebhaber kommen hier voll auf ihre Kosten, aber auch Vegetarier müssen nicht verhungern und bekommen abwechslungsreiche Kost serviert. Den Aquavit gibt’s für beide.
Und so schippern wir mit einer Höchstgeschwindigkeit von 15 Knoten den nächsten Häfen entgegen. 34 läuft die Polarlys insgesamt an, wobei die Aufenthalte zwischen nur fünfzehn Minuten und dreieinhalb Stunden dauern. Das Schiff hat wie die anderen sieben Schiffe auf der Postschiffroute einen festen Fahrplan. Sollte es aus irgendwelchen Gründen verspätet in einem Hafen ankommen, wird die Anlegedauer verkürzt, so dass es wieder pünktlich abfahren kann, erklärt man uns. Wer auf eigene Faust einen Landgang macht, muss also besonders aufmerksam sein, denn die Schiffe warten nicht auf fehlende Passagiere.
Ålesund
Häfen, die das Schiff auf der nordwärts gehenden Route bei Tag anläuft, werden auf der südwärts gehenden Route nachts angelaufen und umgekehrt.
Wir freuen uns, zur Einstimmung in Ålesund eine ungewöhnlich lange Liegedauer von 10 Stunden zu haben und beschließen, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Und so laufen wir im Zickzack und mit ständigem Blick auf den Boden durch die Stadt, denn die Bürgersteige und Straßen sind nicht alle vom Schnee geräumt und teilweise stark vereist. Diese Bodenbeschaffenheit sind wir nicht gewohnt, und so retten wir uns nach einiger Zeit in ein gemütlich-warmes Café und probieren kanelbolle med melis, norwegische Zimtschnecken mit Puderzuckerguss. Die Boller sind hervorragend und sollen auf unserer Reise zu meinem täglichen Nachmittagssnack in der Multe Bakeri werden.
Auf unserem Gang durch die Stadt bewundern wir die vielen Jugendstilhäuser. Im Jahr 1904 wurde fast die komplette Innenstadt bei einem Stadtbrand vernichtet. Er wütete über 16 Stunden lang, zerstörte etwa 850 der Holzhäuser und machte 10.000 Einwohner obdachlos. Dann wurde innerhalb von sieben Jahren die ganze Stadt aus Stein wieder aufgebaut, und seitdem ist Ålesund berühmt für seine bis hin zum Kanaldeckel vollständig im Jugendstil errichtete Innenstadt.
Trondheim
22.35 Uhr in Molde, 2.45 Uhr in Kristiansund. Jedes Mal werde ich wach, weil ich höre, dass sich die Schiffsgeräusche geändert haben und weil ich spüre, dass unser Schiff anlegen will. Und es wird heller in unserer Kabine. Da hält es mich nicht mehr im Bett, und ich muss ans Fenster. Schön, diese schlafenden, verschneiten Städte im Lichterglanz.
Nächster Landgang ist in Trondheim. Aus Erfahrung bin ich klug geworden und habe mir im Bordshop der Polarlys ein Paar Spikes gekauft und über meine Schuhe gezogen. Und so klackere ich jetzt zusammen mit den anderen Passagieren ziemlich uncool, aber sicher, über die verschneiten und vereisten Straßen der Stadt und bewundere die Trondheimer, die so etwas nicht brauchen, aber angesichts dieser unfähigen Touris keine Miene verziehen.
In Trondheim sehen wir uns die schönen, bunten Speicherhäuser an der Nidelva an - und natürlich Nidarosdomen, die Nidaros-Kathedrale. Sie ist seit Jahrhunderten ein Pilgerziel und Norwegens größtes Bauwerk aus dem Mittelalter. Mit 102 m Länge, 50 m Breite und einer Höhe des Hauptschiffs von 21 m sind die Maße wahrlich beeindruckend. Trotzdem wirkt die heutige Rekonstruktion aus dem Jahr 1868 in ihrem gotischen Stil sehr filigran.
Wir haben uns bei Starbucks und vor allem in der Kathedrale so lange aufgehalten, dass es für einen Gang über den Weihnachtsmarkt leider nicht mehr reicht, und wir ein Taxi suchen müssen. Mit dem wir dann auch knapp vor dem Auslaufen unser Schiff erreichen.
Zurück an Bord gibt es Gløgg, den norwegischen Glühwein aus Weißwein, gewürzt mit Orange, Sternanis und Zimtstange. Müssen wir natürlich probieren. Wir haben Vollpension an Bord, aber die Reederei tut alles, um uns auf charmante Art und nebenbei das Geld aus der Tasche zu locken: da wird nach dem Abendessen Aquavit angeboten, nachmittags gibt es frischen Apfelkuchen mit Eis, oder man hat Waffeln gebacken und serviert dazu Kakao mit Schuss. Alles verkündet über Bordlautsprecher, damit wir es auch ja nicht verpassen.
Bargeld ist wie im ganzen Land auch auf dem Schiff nicht gern gesehen, und wir rechnen alles über unsere "cruise card" ab, von den Briefmarken über die tägliche Kanelbolle bis zur Flasche Wein, die es ab 50 Euro gibt. Norwegen ist teuer, und der Alkohol an Bord setzt noch ein Sahnehäubchen auf die Preise. Keine Ahnung, was da alles am Ende zusammenkommt, denn Quittungen gibt es nur für Einkäufe im Bordshop. John hat seine Kreditkartennummer und die E-Mail-Adresse hinterlegt, so dass alles am Ende der Reise problemlos und diskret abgerechnet werden kann.
Aber was soll's? Die Anzahl unserer Urlaube hat sich durch die Pandemie so reduziert, dass wir jetzt guten Gewissens etwas mehr ausgeben können.
Überquerung des Polarkreises
Am vierten Tag unserer Reise überqueren wir den nördlichen Polarkreis (66°33' N), auf dem die Sonne an den Tagen der Sonnenwende nicht mehr auf- bzw. untergeht. Um 7.30 Uhr schon stehen wir an Deck, um uns das Modell einer Weltkugel anzusehen, das zwischen den Häfen Nesna und Ørnes auf einer kleinen Schäre steht und den nördlichen Polarkreis markiert. Ab jetzt befinden wir uns in der Arktis, und das muss natürlich entsprechend gefeiert werden.
In der Zeit der portugiesischen Entdeckungsreisen entstand der Brauch der Äquatortaufe, ein oft brutales und erniedrigendes Initiationsritual der Seeleute, wenn ein Besatzungsmitglied zum ersten Mal auf See den Äquator überquerte.
Im Vergleich dazu ist die heutige Polartaufe bei Hurtigruten ein harmloses Spektakel für Touristen, das man wegen des Tageslichts auf 10.30 Uhr verlegt hat. Pünktlich stehe ich mit den meisten anderen Passagieren und einem Teil des Expeditionsteams wieder auf Deck 7. Es ist ziemlich frisch, und der Fahrwind der Polarlys tut sein Übriges dazu, dass wir trotz dicker Winterkleidung leicht frösteln.
Als jedoch die ersten Töne von "Ring of Fire" aus dem Bordlautsprecher ertönen, kommt die Masse in Bewegung, und tanzend vertreiben wir die Kälte und die Wartezeit. Hotelmanager Marco Voigtländer leitet und erklärt die Zeremonie, und Neptun lässt auf sich warten, will gebeten und laut angerufen werden. Als er dann endlich polternd erscheint, vollzieht er mit Captain Ulf Arne Berg die Taufe und kippt jedem Freiwilligen eine Kelle mit Eiswasser und -würfeln in den Nacken; bei kernigen jungen Seefahrenden auch schon mal den restlichen Inhalt des Eiskübels.
Tromsø
Heute gönnen wir uns vormittags den Vortrag "Folklore" und lernen die Fabelwesen der nordischen Mythologie kennen: die unberechenbaren und oft naiv-dummen Trolle, die Waldfee Huldra, den Wassergeist Nøkken und den geigespielenden Wassergeist Fossegrim, der in Wasserfällen wohnt.
Typischerweise mit der Wintersonnenwende und der Weihnachtszeit in Verbindung gebracht werden die Nisser, koboldhafte Wesen, die heimlich im Haus und auf dem Hof wohnen. Sie schützen Kinder und Tiere und helfen wie die uns bekannten Heinzelmännchen bei Hausarbeiten und in der Landwirtschaft. Aber so ein Nisse ist nicht immer fürsorglich und beschützend. Man sollte sich unbedingt davor hüten, ihn schlecht zu behandeln oder zu beleidigen, denn er ist sehr nachtragend. Die Vergeltungsmaßnahmen, auf die er sich blendend versteht, reichen von kleinen Streichen bis hin zum Töten des Viehs oder dem Ruin des Bauernhofs.
Die Liegezeit der Polarlys in Tromsø ist von 14.15 Uhr bis 18.15 Uhr, wir haben also fast vier Stunden Zeit für einen Landausflug. Verschiedene Stadtrundgänge werden angeboten, Cross-Country-Skifahren und eine Schneeschuhwanderung. Wir haben schon von Deutschland aus das "Winterabenteuer Husky" gebucht und verlassen pünktlich das Schiff, um uns per Bus ins 25 Minuten entfernte "Villmarkssenter" (Wildniszentrum) auf der Insel Kvaløya karren zu lassen.
Das familiengeführte Unternehmen wurde 1988 als "dog home" von Tove Sørensen gegründet. Heute leitet sie mit ihrem Sohn Torkil das Zentrum, eines der größten Abenteuerunternehmen in Norwegen. Im Sommer werden Kajaktouren, Bergwanderungen und Exkursionen mit Huskies angeboten, und im Winter natürlich Hundeschlittentouren. Tove und ihre Mitarbeiter aus aller Welt sind sehr erfahrene Musher, die an zahlreichen Rennen teilgenommen haben, so z. B. am Finnmarksløpet, dem längsten Hundeschlittenrennen Europas und am berühmten Iditarod in Alaska, dem längsten und härtesten Hundeschlittenrennen der Welt.
Es herrscht tiefste Polarnacht, als wir uns dem Gelände nähern, auf dem die Hunde untergebracht sind – und uns empfängt das ohrenbetäubende Gebell und -gejaule von 200 Huskies. 300 waren es vor Corona, aber dann gingen wie überall die Geschäfte zurück, und die Sørensens mussten sich von 100 Hunden trennen. Zum Glück konnten alle gut privat vermittelt werden, und auch der Staat Norwegen unterstützte das Unternehmen.
Die totale Aufregung im Gehege gilt nicht uns. Die Hunde sehen, dass einige Schlitten fertiggemacht und ihre Kumpel angespannt werden, und jeder will mit und verkündet lauthals: "Ich auch! Ich auch!"
Und dann: Stille. Kein Laut mehr. Die Schlitten sind abgefahren, und die Hunde wissen, dass sie diesmal nicht mitkönnen.
Schlittenhunde sind Arbeitstiere; sie finden nichts schöner, als zu rennen und etwas hinter sich herzuziehen. Seit über 4000 Jahren werden sie gezielt gezüchtet auf Eigenschaften wie Gesundheit und Genügsamkeit, Führigkeit, Schnelligkeit, Ausdauer, unterdrückter Jagdtrieb und keinerlei Aggressivität gegenüber dem Menschen. Das Aussehen spielt dabei eine untergeordnete Rolle, und so sehen wir hier Hunde in allen Farben, Größen, Augenfarben und Ohrstellungen.
Nach diesen und anderen einleitenden Erklärungen dürfen wir endlich zu den Huskies, und es heißt "Knuddeln bis zum Abwinken". Die Hunde leben wie alle Huskies im Rudel. Jeder hat seine eigene, einfache kleine Hütte und ist an einer leichten Kette, die ihm jedoch genügend Bewegungsfreiraum gibt, angebunden.
Beim Gang durchs Gehege offenbaren sich dann die verschiedenen Charaktere der Vierbeiner: manche kommen neugierig herbei, andere stürmisch, wiederum andere sind ziemlich schüchtern. Nur ganz wenige ziehen es vor, in ihrer Hütte zu bleiben. Ein Schwarzer kommt herbei, setzt sich hin und dreht mir den Rücken zu. Ganz klar, was er möchte: am Rücken gekratzt werden, und gerne tue ich ihm den Gefallen. Bis meine Hände nass und rot vor Kälte sind.
Leider heißt es nach etwa einer halben Stunde schon, die freundlichen Gesellen verlassen, aber die ersten Schlitten kommen zurück, und jetzt heißt es für uns einsteigen. Mittlerweile hat es zu schneien angefangen, und die Szenerie der Winterlandschaft ist perfekt, ausgeleuchtet von den starken Stirnlampen der Musher. Immer zu zweit nehmen wir Platz auf den mit Rentierfell gepolsterten Schlitten, und mit einem "Go!" setzt sich unser bereits ungeduldiges Gespann in Bewegung.
Unser Musher heißt Katarina und kommt aus der Slowakei. Im Sommer lebt und arbeitet sie in Trondheim, aber im Winter geht sie hier ihrer größten Leidenschaft nach. Wir verstehen uns auf Anhieb, und während Katarina mit "gee" (rechts abbiegen) und "haw" (links abbiegen) das Team zwischen kahlen Birken und um einen zugefrorenen See herum dirigiert und uns auf besonders heftige Bodenwellen aufmerksam macht, plaudern wir, als würden wir uns schon Jahre kennen. Oder wir schweigen und genießen einfach das, was wir sehen und hören und fühlen. Glücksgefühle pur.
Der grönländische Polarforscher Knut Rasmussen (1879-1933) drückte das knapper, aber treffend aus: "Gebt mir Hunde, gebt mir Schnee, den Rest könnt ihr behalten!"
Viel zu schnell sind wir von der etwa 10 Kilometer langen Strecke wieder zurück, und mit einem langgezogenen "whoa" bringt Katarina das Team zum Halten, der Anker wird in den Schnee geworfen, und wir steigen aus. Wie es die Tradition verlangt, bedanken wir uns bei Leithündin Lina und dem Team für seine gute Arbeit, indem wir jeden Hund freundschaftlich knuddeln. Und Katarina gleich mit.
Was danach folgt, ist für mich nur eine nette, kleine Zugabe: Kaffee und ein großartiger Schokoladenkuchen am offenen Feuer in der gemütlichen Gamme-Hütte des "Villmarkssenter" und ein wieder hervorragendes Abendessen an Bord der Polarlys, mit neuseeländischem Sauvignon Blanc und einem Aquavit als Digestif.
Dann um 23.30 Uhr die Durchsage über Bordlautsprecher: "Schwache Nordlichter am Heck des Schiffes!" Aber da liege ich schon glücklich im Bett und träume von einer Hundeschlittenfahrt …
Mehr über das Villmarkssenter gibt's beim Klick aufs Logo >>>
Luciafest und Ausflug zum Nordkap
Wir schreiben Montag, den 13. Dezember. Bis zur Einführung des Gregorianischen Kalenders im Jahr 1752 war dieser Tag der kürzeste des Jahres und markierte die Wintersonnenwende. Der Brauch, am 13. Dezember den Gedenktag der heiligen Lucia zu feiern, stammt ursprünglich aus Schweden, hat sich aber in ganz Skandinavien verbreitet. Die wichtigsten Elemente dieses Luciafestes sind das Tragen von weißen Gewändern und von Kerzen, der Verzehr von traditionellem Safrangebäck (lussekatter) und das Singen von Lucialiedern. Soweit die Theorie.
Ich empfinde es als eine nette, aber irgendwie doch befremdlich wirkende Geste, als unsere Stewards und Stewardessen beim Frühstück in weiße Umhänge gehüllt, mit silbernen Flittergirlanden um den Kopf und mit flammenlosen LED-Kerzen in den Händen zwischen den Tischen des Restaurants herumgehen und dabei mit ziemlich piepsigen Stimmen ausgerechnet das neapolitanische Volkslied "Santa Lucia" singen.
Obwohl es irgendwie auch zu unserer Schiffstour passt, wenn es in der ersten Strophe übersetzt heißt:
"Auf dem Meer glitzert das Silbergestirn;
die See ist ruhig, der Wind günstig.
Kommt auf mein wendiges Boot!
Santa Lucia, Santa Lucia!"
Und die lussekatt war lecker!
10.55 Uhr Anlegen in Honningsvåg, 11 Uhr Abfahrt der Busse zum Nordkap.
"Das Nordkap ist seit 1999 der nördlichste vom Festland aus auf dem Straßenweg erreichbare Punkt Europas und mit seinem Wahrzeichen, dem Globus, ein bedeutendes touristisches Reiseziel" weiß Wikipedia.
Von der Landschaft auf dem Weg zu dem bedeutenden touristischen Reiseziel auf der Insel Magerøya sehen wir leider nicht viel, denn es ist ziemlich dunkel. Ähnlich auf dem gesamten Plateau: kein großartiger Blick über das Meer, und auch das Denkmal der Kinder der Welt und das Mitternachtssonnen-Denkmal verstecken sich in der Polarnacht.
Also streben wir wie alle anderen erst einmal zu der berühmten, angeleuchteten Weltkugel, die 1978 hier aufgestellt wurde, und deren Stahlringe die Längen- und Breitengrade der Erde darstellen. Zum Glück gehören wir nicht zu der Sorte Touristen, die an jeder Sehenswürdigkeit Selfies machen oder sich fotografieren lassen müssen, denn die Schlange der Wartenden vor dem Sockel des Wahrzeichens ist ziemlich lang, und es weht ein eisiger Wind.
Wir laufen einmal um die Kugel herum, machen ein paar Fotos, schauen aufs dunkle Meer und retten uns dann in die Nordkaphalle. In diesem modernen Erlebniszentrum ist es hell und warm. Verschiedene Ausstellungen gibt es hier, einen riesigen Souvenirladen, eine ökumenische Kapelle, ein kleines Postamt und sogar ein Thai-Museum. Wir entscheiden uns für das Kino, das einen kurzen, aber sehr interessanten Film über die Landschaft hier in Nordnorwegen zeigt, für den Kauf von zwei Nisser (was muss, das muss!) und für einen wärmenden Kaffee im Restaurant.
Und dann ist es auch schon wieder Zeit, auf die Polarlys zurückzukehren.
Damit sind die ersten sechs Tage unserer zwölftägigen Schiffstour vorbei, aber wir sind noch immer unterwegs in Richtung Norden, wo neue Erlebnisse auf uns warten.
zur FORTSETZUNG bitte anklicken
... und hier ist Platz für Eure Anmerkungen:
Silvia (Montag, 31 Januar 2022 00:32)
Das ist mal eine etwas andersartige cruise als die die wir bisher gemacht haben. Ich glaube die Kälte und Dunkelheit ist bei chocolate cake und hot cocoa gut auszuhalten, oder! Auch die Scandinavian pastries hören sich zu lecker an. Ich würde alle probieren! Das blöde Corona hat seine Vor-und Nachteile; weniger Passagiere und somit mehr Platz, aber das arme Touristenviertel in Bergen tut mir leid.
Super, diese cruise in den Norden zur Weihnachtszeit! Könnte mir durchaus auch gefallen. Den 2. Teil schau ich mir morgen an! Hoffentlich gibts gute Fotos von Northern Lights ;)
Astrid (Sonntag, 16 Januar 2022 18:42)
Wenn ich doch nur etwas seefester wäre ... Aber reisen mit Dir ist mehr als eine gute Alternative. Ich sitze bequem, warm und schaukelfrei, nur ein Husky fehlt. Du hast wirklich stimmungsvolle Fotos gemacht, sogar in tiefster Polarnacht. Sehr praktisch auch, dass Johns Kreditkartendaten hinterlegt waren und nicht Deine :-)
Ich freue mich auf den zweiten Teil. LG Astrid
Tina( namibiafan/lioness) (Sonntag, 16 Januar 2022 10:18)
Liebe Beate,
heute morgen bin ich kaffeetrinkend Richtung Nordkap geschippert und habe mich an Zimtschnecken, überteuertem Afrika-Wein und Huskys erfreut :)
Danke für den kurzweiligen Bericht, einer unter Corona sehr besonderen, "Kreuzfahrt" durch kalte Gewässer,Dunkelheit und mit schneereichen Landgängen.
Virtuell hat es mir Spaß gemacht. Aber in der Realität würde ich im deutschen Winter eher eine Reise ans Mittelmeer bevorzugen.
Jeder Jeck is anders :)
Viele Grüße,Tina
Blula (Dienstag, 11 Januar 2022 14:21)
Ha, Beate, Du schreibst nicht nur gut, Du kannst auch gut fotografieren. Auch deshalb machen Deine Reiseberichte immer Freude.
Und ... da wird es auch nie langweilig, denn Du weißt so besonders anschaulich und lebendig zu schreiben. Hier fing's ja auch gleich schonmal wieder richtig gut an... die Story mit dem knallroten Koffer ist köstlich.
Ja, Beate, kurz und gut, Du hast mir mit diesem Bericht den hohen Norden nun noch ein Stückchen näher gebracht. Danke dafür. Ich freu mich schon auf Teil 2 ;-))
Liebe Grüße !
Daniela (Montag, 10 Januar 2022 22:06)
Die Huskies hätte ich auch gerne besucht....und die kanelbolle klingen äußerst lecker. Ich freue mich schon auf die nächsten sechs Tage im Norden! Liebe Grüße
Jutta (Sonntag, 09 Januar 2022 18:35)
Eingewickelt in der Kuscheldecke, war es sehr angenehm den tollen Bericht zu lesen. Den Zimt der Schnecken habe ich gerochen und die Huskies bellen gehört. Der Schnee knirschte und es gab etwas Seegang.
Ich freue mich auf den 2. Teil.
Ha det sa lenge (bis bald)
Hedi (Sonntag, 09 Januar 2022 10:36)
Aaaah ... bei der Hundeschlittenfahrt wäre ich gerne dabei gewesen. Und bei all dem schönen Essen auch. Und überhaupt ... Schiffe sind etwas Wunderbares. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung!