Namibia

Music Is The Answer

"Follow me!" Sichtlich schlecht gelaunt, unmotiviert und unter der Hitze leidend schlurft die rundliche Debbie vor uns über den schmalen Pfad, um uns die Felsgravuren von Twyfelfontein zu zeigen.

 

Twyfelfontein, so heißt das Tal im Damara-Bergland, in dem über 2500 Felsgravuren und Felsmalereien zu finden sind. Die Zeichnungen, die in den Jahren 300 v. Chr. bis kurz nach 1800 erschaffen wurden, stellen hauptsächlich Jagdszenen dar. Viele Tiere sind zu sehen, aber auch abstrakte Zeichnungen, deren Bedeutung bis heute ungeklärt ist.

 

Im Jahr 2007 setzte die UNESCO Twyfelfontein auf die Liste des Weltkulturerbes, und seit einigen Jahren darf man die Zeichnungen nur noch mit Führer besichtigen.

Schade, denn Debbie hätten wir uns eigentlich gerne erspart; ein Reiseführer in gedruckter Form wäre informativer gewesen. Freundlicher sowieso.

 

 

Zurück von der Besichtigungstour stehe ich in dem kleinen Souvenirshop, wühle in ganzen Herden von geschnitzten Tieren, in Postkarten und in handgefertigtem Schmuck. Ohne es richtig zu bemerken, singe ich leise vor mich hin:

 

"awika te la

aka te la

awika te la

sike di wa dike …"

 

Während der langen Fahrt über die staubige Pad habe ich mir die sanfte Stimme von Patricia Ochurus per Kopfhörer reingezogen. Das Lied hat sich in meinem Hirn eingenistet und zu einem echten Ohrwurm entwickelt:

 

"awika te la, aka te la ..."

 

Plötzlich registriere ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung, und ich höre eine Stimme die mein Lied mitsingt. Ich drehe mich um … und schaue in das strahlende Gesicht von Debbie!

Ob ich überhaupt wisse was ich da singe, fragt sie. Nö, nicht wirklich, aber sie könne es mir gerne erklären.

Debbie hat gerade keine Touristen durchs Gelände zu scheuchen und nimmt mein Angebot auf eine Cola im Schatten dankbar an.

 

Sie erzählt mir, dass Patricia Ochurus aus Swakopmund kommt, wo sie im Township Katutura aufwuchs. Mit sieben Jahren begann sie mit dem Singen in einem Kirchenchor. Jetzt ist sie Ende 20 und steht vor der Veröffentlichung ihres ersten Soloalbums.

 

Der Titel, der mir nicht aus dem Kopf geht, heißt "Africa Tsela" und erschien auf dem Sampler

"A HAND-FULL OF NAMIBIANS".

Die Musik Namibias wurde stark beeinflusst von Kolonialherren und Kirche, und ihr Schwerpunkt liegt noch heute auf Chorgesang mit Trommelbegleitung und auf Kirchenchören mit Orgelbegleitung.

Aber es gibt auch andere Töne. Namibia hat viele musikalische Talente, denen es jedoch leider kaum möglich ist, von der Musik zu leben. Einer der Gründe ist die starke Präsenz der südafrikanischen und US-amerikanischen Musikindustrie auf dem kleinen namibischen Markt. So ist es hauptsächlich dem Sponsor FNCC (Franco-Namibian Cultural Centre) in Windhoek zu verdanken, dass die vorliegende CD überhaupt erscheinen konnte.

 

Das Album, dessen Veröffentlichung im November 2004 mit einer großen Party im Katutura Arts Centre gefeiert wurde bietet einen kleinen, kompakten Überblick über die aktuelle Musikszene in Namibia.

Neben lokalen Musikgrößen wie Patricia Ochurus, Ras Sheehama oder Yellow Solo sind hier auch einige Musiker zu hören, für die das ihre erste CD-Produktion überhaupt war. Die Bandbreite ihres Repertoires reicht von traditioneller Musik und Afro Reggae über Pop, Funk, Jazz und Soul bis hin zum Hip Hop und bietet damit eine hinreißende Mischung und für jeden Geschmack etwas. 

Mit dem Erscheinen der CD auch in Europa wurde sie zum wohl erfolgreichsten namibischen Musikalbum, und den talentierten und sympathischen Musiker(inne)n ist zu wünschen, dass dieser Erfolg auch weiter anhält …

 

Die Cola ist ausgetrunken, und die Pflicht ruft in Form von einer französischen Familie, die auch die Felsgravuren gezeigt bekommen möchte. Und so stehen Debbie und ich auf, umarmen uns und verabschieden uns in dem Wissen, dass wir uns nie wieder sehen werden. Und dass wir Freunde geworden sind.

 

© 2009


Nachtrag Juli 2018:

 

 

 

 

 

 

 

Im Terra Mater Magazin Nr. 4/2018 ist zu lesen, dass in den Mik-Bergen westlich von Twyfelfontein Felsgravuren und Zeichnungen in einer unglaublichen Anzahl entdeckt wurden. Noch ist die 10.000 Jahre alte "Post aus der Steinzeit" allerdings nur

Archäologen zugängig und nicht für den Tourismus freigegeben.