KUBA 2024

Eindrücke von einer Sonneninsel mit viel Schatten

Straße in Trinidad

 

 

Prächtige Kolonialbauten, Traumstrände, Oldtimer in allen möglichen Farben, Zigarren, Rum, heiße Salsa-Rhythmen unter karibischer Sonne – und natürlich die viel zitierte Lebensfreude. Kuba-Klischees vom Feinsten.

 

Knapp 2.600 Kilometer fuhren wir über die Insel, vom Westen nach Süden und nach Osten, und ich erlebte ein ganz anderes Land als das, welches in schwärmerisch formulierten Reiseprospekten angepriesen wird. Statt auf den Straßen Salsa (bzw. Son, die kubanische Variante) zu tanzen, versammelten sich die Einheimischen vor den Hotels und bettelten um Seife, Shampoo und Medizin; der Mangel war überall zu spüren.

 

Tankanhänger für Trinkwasser, ein häufiger Anblick

 

Wir erinnern uns:

im Jahr 1492 ankerte Christoph Kolumbus in der Bucht von Baracoa und entdeckte das Land für die spanische Krone. Den Spaniern gelang es dann auch innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten, das hier lebende, friedliche Volk der Taíno auszurotten und ein Handelsmonopol zu gründen.  

1762 eroberten die Engländer Havanna, und während ihrer kurzen Besatzungszeit wurden Zuckerrohrplantagen und der unter den Spaniern begonnene Sklavenhandel zu wichtigen Einnahmequellen.

1886 wurde die Sklaverei abgeschafft, und 1898 erklärten die USA Spanien den Krieg, besetzen Kuba und verwalteten das Land, bis es 1902 offiziell unabhängig wurde.

1952 kam Fulgencio Batista zum zweiten Mal an die Macht, gab der Mafia freie Hand und etablierte eine brutale Diktatur. Die USA sahen stillschweigend dabei zu.

 

Daraufhin stürmte Fidel Castro, ein 26jähriger Anwalt, am 26. Juli 1953 mit seinen Rebellen die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba; die Einschusslöcher sind noch heute zu sehen.  

 

Moncada-Kaserne mit Einschusslöchern vom 26. Juli 1953 

 

Das Unternehmen scheiterte, aber drei Jahre später landete Fidel mit seinem Bruder Raúl und 81 Rebellen, darunter Ernesto Che Guevara, auf Kuba. 1959 stürzten sie den kubanischen Diktator Batista und errichteten einen sozialistischen Staat. Damit hatte die Revolution gesiegt; der Tag wird noch immer jährlich am 1. Januar gefeiert.

 

US-Firmen und US-Bürger wurden enteignet, was zu einem dauerhaften Embargo der USA gegen Kuba führte. Aber Kuba fand Unterstützung bei den sozialistischen Staaten Osteuropas, besonders bei der damaligen Sowjetunion. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel Anfang der 1990er Jahre dann Kubas wichtigster Handelspartner und Geldgeber aus, und es folgte eine schwere Wirtschaftskrise.

Als Ersatz beschloss die Regierung, die Tourismusindustrie zu entwickeln, aber dann kamen die schweren Hurrikane von 2008 und Anfang 2020 die COVID-19-Pandemie, die Kuba schwer zu schaffen machte. Der Ukraine-Krieg 2022 tat ein Übriges, denn jetzt fielen auch noch die Russen als zahlungskräftige Urlauber aus.

Kamen im Jahr 2019 noch 4,2 Millionen Besucher nach Kuba, so waren es 2023 nur noch 2,4 Millionen, davon allein 350.000 im Ausland lebende Kubaner und Kubanerinnen.

 

die Besucherzahl hat sich nahezu halbiert

 

Den Kubanern geht es so schlecht wie noch nie. Familien, die keine Verwandten im Ausland haben oder über Arbeit im Privatsektor an Devisen kommen, müssen in Armut und mit Hunger als ständigem Begleiter leben.  

Wir sehen uns einen Laden an, in dem die Rationen Grundnahrungsmittel ausgestellt sind, auf die ein Kubaner – natürlich nur per Lebensmittelkarte – ein Anrecht hat. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben.

 

Diese Rationen an Grundnahrungsmitteln sind für einen ganzen Monat, reichen aber nur ein paar Tage 

Lebensmittelkarte

 

Für kubanische Kinder gibt es nur bis zum 7. Lebensjahr Milch; täglich ½ Liter. Touristen dürfen dahingegen meist in Milchkaffee, Cappuccino & Co. schwelgen. Für Touristen ist auch ein Ei pro Tag vorgesehen; Einheimische bekommen 10 pro Monat; alle 14 Tage 5 Stück. Bei Brot ist es ähnlich. Während unserer Reise entstand eine besonders große Mehlknappheit. Hatten die Kubaner vorher ein Brötchen pro Tag bekommen, war es jetzt nur noch zweimal wöchentlich eins. Aber wir hatten täglich 5 Scheiben Toast und mehr. Das alles machte mich krank. Nur in einem Hotel – ausgerechnet mit fünf Sternen und in Havanna – bekamen auch wir Touris den Mangel zu spüren: es gab nur dienstags und donnerstags Brot und an einem Tag auch nur eine Tasse Kaffee zum Frühstück. Ich führe dies allerdings auf die mangelnde Organisation in diesem Hotel zurück; in den Privatunterkünften (casas particulares) beispielsweise gab es immer genug zu essen und zu trinken.

 

Täglich kämpfte ich gegen mein schlechtes Gewissen in solchen Situationen. Aber ohne unsere Touri-Dollars ginge es den Kubanern noch schlechter.


In den Apotheken konnte man fast nur noch Trinkwasser kaufen; es gab so gut wie keine Medikamente mehr. Dabei wird (auch von einer einheimischen Ärztin, die wir besuchten) die gute medizinische Versorgung im Land gelobt – für mich nicht nachvollziehbar.  

 

nahezu leere Apotheke

 

Vor Bäckereien, Banken und Behörden sieht man Menschen, die Schlange stehen müssen. Seit der sozialistische Bruderstaat Venezuela kaum noch Treibstoff liefern kann, bilden sich auch lange Autoschlangen vor den Tankstellen. Für Touristenbusse wie den unsrigen gab es zwar ab und zu noch 10 Liter Diesel (einmal sogar 30!), aber nur an bestimmten Tankstellen. Und er musste vorher vom Fahrer beantragt werden. Für mich unvorstellbar, mit so vielen Vorschriften und Einschränkungen leben zu müssen.

Wegen der Benzinknappheit sind die Autobahnen natürlich leer, und einen funktionierenden ÖPNV mit festen Fahrplänen gibt es auch nicht, so dass die Menschen gezwungen sind, oft stundenlang auf Beförderung zu warten. Sehr viele sahen wir, die an der Straße stehen und versuchen, irgendeinen vorbeifahrenden Bus durch Winken anzuhalten. Oft mit ein paar Pesoscheinen in der Hand. 

 

leere Autobahn

 

Während unserer Reise waren (angeblich) wegen Wartungsarbeiten am größten Kraftwerk des Landes auch die Stromausfälle und -abschaltungen besonders häufig und lang andauernd. Mit den Nebeneffekten, dass natürlich auch Tankstellen und Geschäfte geschlossen hatten, die Geldautomaten außer Betrieb waren und Geräte nicht aufladbar. Dass es dann auch keinen Kaffee gab (nur die großen Hotels besitzen einen Generator), war noch am leichtesten zu verschmerzen.

Stromversorgung für ein Mehrfamilienhaus

 

Neben der staatlichen Misswirtschaft, der Inflation und einer ausgebremsten Privatwirtschaft macht zusätzlich die Natur mit ihren Hurrikanen der Insel Probleme. Der letzte, sehr schlimme Wirbelsturm hieß „Ian“ und fegte im September 2022 mit bis zu 205 km/h Windgeschwindigkeit über die Insel. Er traf das Tabakanbaugebiet in der Provinz Pinar del Rio schwer, hinterließ Todesopfer, Überschwemmungen und große Verwüstungen. Die für die Tabakverarbeitung so wichtigen hölzernen Trockenschuppen wurden zerstört, aber es gibt nicht genug Holz, alle wieder aufzubauen. Also benutzte man als Material für die Dächer Wellblech – was aber dem Tabak nicht gut bekam; der fing an, zu schimmeln. So ergab und ergibt sich ein Unglück aus dem anderen.

 

 

Trockenschuppen für Tabak

 

Auch viele der hölzernen Wohnhäuser in der Provinz wurden zerstört und sind noch nicht wieder aufgebaut. Und wer sich jetzt fragt, warum man nicht gleich solide Häuser aus Stein baut, dem sei gesagt, dass dies finanziell einfach nicht machbar ist. Ein Sack Zement kostet auf der Insel 5000 Pesos, das ist der Monatsverdienst eines Arztes. Ein Dorf ist daher schon froh, wenn es über wenigstens ein Steinhaus verfügt, in das die Bewohner bei den jährlichen Wirbelstürmen (die Hurrikansaison dauert von Juni bis November) flüchten können.

 

5000 Pesos, das sind 20-25 Dollar. So viel verdient auch ein Lehrer im Monat. Kuba ist stolz darauf, eine Analphabetenrate von nahezu null sowie im lateinamerikanischen Vergleich ein sehr hohes Bildungsniveau zu haben, und der Besuch einer Universität ist kostenlos. Aber Ärzte und Lehrer gibt es auf der Insel leider immer weniger, weil man im Tourismus bedeutend mehr verdienen kann. Und so arbeiten Studienabbrecher und Akademiker als Kellner, Zimmermädchen oder Fremdenführer. Die Folgen kann man sich unschwer vorstellen.

  

immer bis zum Sieg ...?

 

Kuba hat 11 Millionen Einwohner, aber wer irgendwie kann, verlässt das Land; seit 2021 waren das über eine Million. Täglich verlassen 1000 bis 3000 Menschen die Insel, wie unser Reiseleiter wusste. Vor den Behörden stehen lange Schlangen, denn die Beschaffung eines Ausreisevisums ist nicht leicht: der Antrag wird mehrmals abgelehnt und muss immer wieder neu gestellt (und bezahlt!) werden, bis man – vielleicht – ein Visum bekommt.

 

Zudem sind es meist die Jungen und die gut Ausgebildeten, die das Land verlassen; die Alten und Kranken bleiben zurück.

 

Der Besitz eines Bootes ist verboten; man könnte ja damit fliehen. Leere Häfen sind ein häufiger, trostloser Anblick und stimmten mich traurig. Was bei Huckleberry Finn vielleicht noch lustig erschien, ist hier der pure Überlebenskampf: ab und zu sieht man ein paar zusammengenagelte Bretter auf dem Wasser, von denen aus ein Mensch versucht, per Schnur und Haken ein paar Fische zu fangen.  

 

Havanna. Die einzigen Boote, die ich während der Reise sah. Dekoration für Touristen? 

 

In Santiago de Cuba erlebten wir an einem Wochenende wegen eines sehr langen Stromausfalls und der überall herrschenden Lebensmittelknappheit öffentliche Proteste. Ziemlich bald kamen dann auch zwei LKWs mit Reis. Es GIBT noch Lebensmittel, die aber nicht verteilt werden. Unser Reiseleiter meinte, die Regierung wolle testen, wie belastbar das Volk ist, und wie lange es aushält. Die Anführer der Proteste wurden offensichtlich wie andere vor ihnen auch festgenommen und dürften für Jahre in den Knast wandern. 

   

„Nein, Kuba ist nicht mein Land“ habe ich Freunden in Deutschland geschrieben. Und das lag weder an der Hitze noch an der extrem hohen Luftfeuchtigkeit zwischen 80 und 90 Prozent, sondern an den Lebensumständen der Bevölkerung. Ich habe schon viele arme Länder bereist, aber in keinem herrschte diese Perspektivlosigkeit.

 

Ja, überall in den Straßen und in den Bars wird Musik gemacht. Aber wenn mir jetzt jemand von der kubanischen Lebensfreude erzählen will, dem sage ich: schaut in die Augen der Menschen, dann wisst ihr Bescheid!  

 

Heiße Rhythmen; aber Lebensfreude ... ?

Nein, Lebensfreude sieht für mich anders aus.


Quellen:

Wikipedia

Vis-à-Vis Reiseführer Kuba

Artikel in der FR vom 20. 01. 2024: „Kuba mangelt es an allem“ 

Erklärungen unseres kubanischen Reiseleiters Norge u.a.m.


Ländliche Idylle, Berge, Städte und Strand. Mein kleines kubanisches Bilderbuch "zum Durchatmen"

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anmerkungen und Fragen, Lob und Tadel dürft ihr gerne hier loswerden:

Kommentare: 5
  • #5

    Heike - wasserhexe (Freitag, 03 Mai 2024 11:06)

    Liebe Beate,
    vielen Dank für deinen, wie immer, sehr informativen Reisebericht.
    Deinen Bericht stimmt mich sehr traurig, da ich ja selbst schon - 2008 - dort war.
    Wir sind mit dem Auto 3.800 km gefahren und haben eure highlights alle mit dabei gehabt.
    Ich hatte mir extra mein Buch und meine Fotos von der Externen raus gekramt, weil ich mir, die von mir fotografierten Menschen ansehen wollte. Du hast recht. Die Menschen haben bei euch kein Lachen mehr in den Augen.
    Das war bei uns noch anders. Auf und am Rande des Platzes vor der Catedral de San Cristobal z.B., standen und saßen auch die Zigarrenraucher und einige hatte ganz schön den Schalk im Nacken und die Augen blitzten dabei und das war fast im ganzen Land so.
    Die, die kaum eine Mine verzogen haben, waren die Santerras. Aber gut, sie sollten ja auch ernsthafte Gespräche und Beratungen führen.
    Ich finde es ganz toll, dass du die Geschichte des Landes hast einfließen lassen. Das gibt ein besseres Gesamtbild der Situation und trägt zum besseren Verstehen bei.
    Es ist sehr schade, was aus diesem wunderschönen Land und den Menschen geworden ist.… und es sieht nicht nach Besserung aus.

  • #4

    Anne (Mittwoch, 01 Mai 2024 15:04)

    Liebe Beate,

    Du hattest ja schon während der Reise entsprechende "Andeutungen" gemacht, aber dass die Gesamtsituation auf der Insel dermaßen desolat ist, erschüttert mich schon sehr.
    Da kamen für Dich und John sicher so gar keine Erholungsgefühle auf, um so wichtiger wird dadurch Dein "Bilderbuch zum Durchatmen". Und die rosafarbenen Oldtimer lassen zwar an Barbie denken, aber verbieten definitiv die innere Haltung "think pink".
    Da weiß ich es doch noch mehr zu schätzen, dass ich allenfalls "Luxus-Probleme" habe.

  • #3

    Blula (Mittwoch, 01 Mai 2024 08:45)

    Mein Gott, was ist nur aus Kuba, der einstigen Perle der Karibik geworden, ein zutiefst gespaltenes Land. Erschreckend zu lesen !! Da ist einmal die arme Bevölkerung, auf der anderen Seite sind da natürlich immer noch die Touristen, die etwas Geld bringen. Wer eine Reise durch Kuba plant, dabei selbstverständlich auch die Naturschönheiten, die Sehenswürdigkeiten des Landes kennenlernen möchte, dem sollte das bewusst sein. Sicher hattet Ihr Euch im Vorhinein gründlich informiert, Euch trotzdem und wohl auch bewusst darauf eingelassen, wolltet Eure eigenen Erfahrungen machen. Dafür verdient Ihr großen Respekt.
    Danke für diesen in jeder Hinsicht eindrucksvollen, teilweise schockierenden Bericht und die so besonders anschaulichen Fotografien dazu. Ja, sicher seid Ihr trotz allem froh, diese Reise gemacht zu haben. Die Erlebnisse, die Erfahrungen, die Ihr während dieser mehrwöchigen Tour sammeln konntet, kann Euch schließlich niemand mehr nehmen.

  • #2

    Hedi (Sonntag, 21 April 2024 14:23)

    Liebe Beate,
    das ist ein wahrhaft erschütternder Bericht.
    Kuba ist weit weg und spielt bei uns keine Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung.
    Gut, dass du uns die traurigen Verhältnisse vor Augen führst.
    "Buena Vista Social Club" war nostalgische Verklärung.
    Die Fotos sind - wie immer - einfach wunderbar und würden sich in einem Kalender ganz fantastisch machen.
    Herzlichen Dank für den eindrucksvollen Bericht!
    Es grüßt dich
    Hedi

  • #1

    Ildiko (Sonntag, 21 April 2024 14:21)

    Puh, einzelne Puzzleteile deiner Reise hast du von unterwegs ja schon immer mal rüber geschickt. Aber so im Zusammenhang und dankenswerterweise in den historischen Kontext gestellt wird nun die ganze Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit erst richtig offensichtlich.
    Danke für diesen ehrlichen Bericht!