Die irische Fischreiterin

"Huch! Wer seid IHR denn?" staunte Oskar und schaute verblüfft zum Beetrand, wo ihm eine Dame auf einem Fisch entgegenkam.

 

"Guten Tag, der Herr!" erwiderte die Reiterin freundlich. "Ich bin Molly, und der da ist mein bester Freund Moby. Wir kommen aus Dublin von der schönen Insel Irland. Aber dort hat es uns gar nicht mehr gefallen."

 

"Aber, wenn die Insel doch so schön ist …?" wunderte sich Oskar und schaute Molly fragend an.

 

"Weißt Du, ich bin die Tochter eines Fischverkäufers" erklärte Molly. "Als er zu alt und zu schwach für das Geschäft wurde, musste ich es übernehmen, um uns über die Runden zu bringen. Jahrein und jahraus zog ich mit einem Karren durch die Straßen meiner Stadt und verkaufte Muscheln und Fische ..."

 

"Und weiter …?" Oskar hüpfte ungeduldig von einem Bein auf das andere.

 

"Ja, und dann lag eines Tages Moby auf meinem Wagen, obwohl er ein Säugetier ist und kein Fisch. Er erzählte mir von dem harten Leben, das er und seine Verwandten schon seit Jahrhunderten haben. Sie wurden nicht nur als Fleischlieferant gejagt, sondern auch wegen ihres Trans, der als Brennstoff diente und wegen ihrer Kieferknochen, mit denen man Häuser und Zäune baute. Ihre Barten wurden als "Fischbein" in Korsetts und Reifröcke eingenäht, und ihr Ambra diente zur Parfumherstellung.

Kannst du dir vorstellen, dass allein im 20. Jahrhundert etwa drei Millionen Wale getötet wurden?"

 

Molly schwieg nachdenklich, und ihre Augen schimmerten feucht. Dann holte sie tief Luft und fuhr fort:

"Heute geht es den Walen etwas besser, denn besonders bedrohte Arten wurden unter internationalen Schutz gestellt und das Töten der Wale zu kommerziellen Zwecken verboten. Trotzdem werden auch heute noch Wale gejagt, zum Beispiel von Japan, Island und Norwegen. Auch die zunehmende Meeresverschmutzung ist für Moby und seine Familie ein großes Problem. Schwermetalle und Reste von Pflanzen- und Insektengiften sowie Plastikmüll-Treibgut sind biologisch nicht abbaubar, gelangen mit der Nahrungsaufnahme in die Körper der Tiere und machen sie anfälliger gegenüber Krankheiten, und sie bekommen weniger Nachwuchs."

 

Molly seufzte. "Dabei hat man heute erkannt, dass Wale intelligente Tiere sind und die meisten von ihnen äußerst gesellig und mit einem hochentwickelten Sozialverhalten. Also habe ich mich mit Moby angefreundet …"

 

"Aber dann, wie kamt ihr beiden dann ausgerechnet hier in meinen Garten?" Erneut unterbrach sie Oskar, dem die Erklärungen der Fischreiterin viel zu ausführlich gewesen waren.  

 

"Wir sind zusammen geflohen" erwiderte Molly geduldig, "und Moby trug mich dabei auf seinem Rücken durch die Irische See, quer durch England und über den Ärmelkanal bis hier in den Garten, wo wir Asyl gefunden haben. Denn gute Freunde, nein, die kann man nicht verkaufen."

 

Das sah Oskar genauso, verabschiedete sich freundlich und suchte neue Abenteuer in einer anderen Ecke des Gartens.

  

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Quelle: Wikipedia

 

 

Dublin, Grafton Street: Molly Malone (Postkarten-Scan)