Wiedersehen mit Costa Rica

Mehr Geschichten aus einem spannenden Land

 

Haltet die Uhren an. Vergesst die Zeit. Ich will euch Geschichten erzählen.

 James Krüss

 

 

 6. Monteverde Cloud Forest Lodge. Hängebrücken und Happy Hour

 

Auf dem Weg zu unserer nächsten Unterkunft fahren wir einige Kilometer über die berühmte Panamericana, den Traum vieler Fernreisenden. Dieses Stück Straße beeindruckt mich allerdings nicht besonders, sieht es doch aus wie viele andere Straßen im Land. Und hieß die Straße früher noch Carretera Interamericana, so ist jetzt schlicht die "Route 1" daraus geworden.

Viele LKWs sind unterwegs (sie haben wie alle stärkeren Fahrzeuge in Costa Rica immer Vorfahrt), und es gibt einige Baustellen. Aber sonst erinnert wenig an die uns bekannten Schnellstraßen: auch bei durchgezogener Mittellinie wird überholt, vor Krankenhäusern und Schulen mahnen Bremsschwellen den Autofahrer, sich an die hier vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung von 25 km/h zu halten, und auf den unbefestigten Seitenstreifen werden Getränke und Obst verkauft; gerade haben Melonen Saison.

 

Wir halten allerdings nur, um uns von einer freundlichen Tica den Tank füllen zu lassen. Umgerechnet 1,30 Euro kostet der Liter Super – während in Deutschland gerade die Preise in die Höhe schnellen und um die 2 Euro liegen. 

 

 

Unsere Lodge hätten wir beinahe nicht gefunden, denn das Navi leitet uns erst einmal zu irgendeiner biologischen Station im Monteverde Cloud Forest anstatt in die gleichnamige Lodge. Sackgasse. Wir vermuten, dass die GPS-Daten nicht ganz korrekt sind und schauen in unseren Unterlagen nach der Adresse. "85FM+HGV, Puntarenas Province, Monteverde" steht an einer Stelle. Keine Ahnung, was das bedeutet. Etwas mehr an Klarheit bringt die Information, die wir an anderer Stelle finden: "1 Km Al Este Del Banco De Costa Rica, Monteverde", also 1 Kilometer östlich der Bank in Monteverde.

Letztendlich sind es dann wieder Google und die Handy App, die uns auf den richtigen Weg bringen. Die Bank, an der wir zum Zielort abbiegen müssen, befindet sich zwar in der Region Monteverde, aber im Ort Santa Elena. Und dieser taucht leider nirgendwo in unseren Unterlagen auf.        

 

Wir parken unseren Vitara vor der Rezeption der Ecolodge und checken ein. Für diejenigen, die mit dem Begriff "Ecolodge" nicht viel anfangen können: Eine Ecolodge ist eine Unterkunft mit reinem Umweltbezug. Sie steht in einer natürlichen Umgebung, verwendet Naturprodukte, arbeitet mit einem nachhaltigen Abfall-System und vermeidet giftige Chemikalien. Und das Essen ist regional und saisonal. Heißt, auch hier besteht der Obstsalat momentan vorwiegend aus Melonen. Damit können wir leben.

 

Nachdem wir unsere gemütliche, große Hütte bezogen und uns eingerichtet haben, ist es auch schon 16.45 Uhr und damit Happy Hour in der gemütlichen Bar mit Blick auf den Nebelwald. Wir verbringen sie mit Margaritas und Pina Colada - und in Gesellschaft einiger Kolibris, die statt der Cocktails jedoch die Zuckerlösung in den aufgehängten Futterspendern bevorzugen.

 

Das Abendessen ist hervorragend; ich habe eine Chayote-Suppe gewählt, Spaghetti mit Gemüse-Tomatensauce und einen chilenischen Sauvignon Blanc. Hier kostet die Flasche 25 US-Dollar; da sind wir von unserem letzten Urlaub in Norwegen ganz andere Preise gewöhnt. Und während man uns in der letzten Lodge in einem Buch zeigte, welche exotischen Früchte und Gemüse in den Gerichten verwendet wurden, bringt mir hier der freundliche, junge Kellner sogar ungefragt eine Chayotefrucht an den Tisch, damit ich auch sehen kann, was ich da esse.

 

 

Zum Frühstück aus Obst, Pfannkuchen und Sirup gibt es gebratene Eier; wahlweise als Rühr- oder Spiegelei. So unkonventionell gestärkt machen wir uns am nächsten Morgen auf unseren ersten Ausflug. Ganze vier Abenteuerparks gibt es in der näheren Umgebung der Lodge, in denen nahezu alle sportlichen Aktivitäten angeboten werden, die man sich vorstellen kann.

Wir jedoch entscheiden uns für die Natur, die wir diesmal aus einer anderen Perspektive sehen wollen und wählen dafür den Selvatura Park. Der Wanderweg über das älteste Hängebrücken-System des Landes ist etwa 2 Kilometer lang; es gibt 8 Brücken in 25 bis 30 Metern Höhe, und die größte davon ist ganze 157 Meter lang. Die Brücken sind freundlicherweise so konstruiert, dass sie nicht schwanken, so dass wir uns voll und ganz auf das konzentrieren können, was wir sehen.  

"During your walk, explore the forest canopy wildlife, and nature, reach out and touch the sky and feel an incredible sense of freedom" wirbt die Webseite des Parks, und ich notiere später in meinem Reisetagebuch: "Ein Traum! Der zauberhafteste Trail, an den ich mich erinnern kann. Leicht zu gehen und hochinteressant; so muss Regenwald sein. Angenehme Temperaturen, etwas Wind, ab und zu Sonne. Üppigstes Grün, riesige Bäume, Flechten, Bromelien und viele winzige Blüten und Fruchtstände. Einige Vögel und Schmetterlinge, und unter uns der Rio Negro."

In der Tat sind die 40 Dollar pro Nase jeden Cent wert, und obwohl wir auf einer geführten Tour bestimmt mehr gesehen hätten, genieße ich es, dass wir streckenweise ganz allein unterwegs sind.

 

 

Beides soll sich auf unserer zweiten Nachtwanderung ändern, zu der wir mit guide Alex und einer Gruppe von Engländern aufbrechen. Wir beobachten eine riesige Kolonie von Blattschneiderameisen, sehen Vogelspinnen, winzige, gelbe Frösche und noch winzigere Spinnen und sogar zwei schlafende Vögel.

Die Freunde von der Insel sind mit fetten Spiegelreflex-Kameras angetreten, aber wie ich auf den Displays sehen kann, versteht kaum jemand, diese in der Dunkelheit auch einzusetzen, und so werden stattdessen verschämt die ersten Handys gezückt. Aber selbst das scheint für einige der Herrschaften noch zu schwierig. Und während Jonathan in Tortuguero seine Gäste im Fotografieren von Fröschen nur theoretisch unterwies ("wenn ich die Taschenlampe anschalte, dann Kamera oder Handy ganz nah ranhalten, kein Tele …"), macht Alex die Aufnahmen mit den verschiedenen ihm gerne überlassenen Handys gleich selbst. Peinlich, aber offensichtlich gar nicht so selten.

 

Letzter Tag in Monteverde. Mein Reisepartner will unbedingt das Ziplining ausprobieren, und dafür bietet sich die Cloud Forest Lodge ganz besonders an. Auf ihrem Gelände nämlich wurde bereits 1994 "The Original Canopy Tour" etabliert. Das Personal ist hoch qualifiziert und in verschiedenen Techniken bis hin zu Erster Hilfe ausgebildet, und der Parcours ganz ohne Nägel und Schrauben gebaut, um den Regenwald zu schonen.

Die Tour besteht aus einer Anzahl von Plattformen, die in die Bäume gebaut wurden, und an 10 verschiedenen Seilrutschen mit einer Kabellänge von 60 bis 790 Metern bewegt man sich von einer Plattform zur nächsten. Damit die zwei- bis zweieinhalbstündige Tour für echte Adrenalin-Junkies jedoch nicht zu langweilig wird, gibt es zwischendurch einen "Tarzan-Schwung", und man kann sich aus 46 Metern Höhe abseilen; hochgeklettert wird dann wieder durch einen hohlen Baum.

Nichts. Für. Mich. 

 

 

Ich fülle meine Wasserflasche, packe sie in meinen kleinen Rucksack und begebe mich auf den "Avocado Trail". Mit zwei Kilometern ist er der längste Rundweg, den die Lodge auf ihrem Gelände anbietet. Da heute anscheinend alle über die Baumwipfel rutschen oder andere Sehenswürdigkeiten der Umgebung erkunden, bin ich als Einzige auf dem Pfad unterwegs, was mir sehr entgegenkommt. Denn erstens wandere ich gerne allein, und zweitens mache ich auf dem streckenweise schwierigen Gelände oft keine besonders gute Figur. Einen Wanderstock habe ich nicht, und an Bäumen oder Ästen sollte man sich im Regenwald auch nicht festhalten, da sich dort Tiere wie Skorpione oder Ameisen verbergen können.

Egal! Der Weg ist gut ausgeschildert, ich nehme mir Zeit, fotografiere und lausche auf die Geräusche des Regenwaldes. Kurz vor dem Ende meiner Tour trifft der Avocado Trail auf den Pizote Trail, wie ein großer Wegweiser verkündet. Aber hier ist nicht "Avocado" zu lesen, sondern "Abocado". Und Abocado bedeutet "zum Scheitern verurteilt".

Gut, dass ich den Weg nicht in umgekehrter Richtung laufen wollte.   

 

Am späten Nachmittag treffen wir uns wieder auf der Terrasse vor unserer Hütte, tauschen unsere Erfahrungen aus und beobachten eine Familie von Nasenbären, die in den hohen Bäumen nebenan ihre Fähigkeiten als hervorragende Kletterer beweisen.

Friedlich … bis ich plötzlich eine Ameise sehe, die etwas Weißes mit sich herumträgt. Ein Ei? Eine Larve? Eine Puppe? Unwichtig. Denn auf einmal werden aus der einen Ameise zwei. Dann drei, dann vier … und im Handumdrehen wuseln Hunderte von Ameisen um uns herum, offensichtlich auf dem Umzug in ein neues Heim. Aber bitte nicht in unsere Hütte! Die Ameisen hören nicht auf mich, klettern Stuhlbeine und Hüttenwände hoch (die Tür ist zum Glück zu, aber haben wir auch alle Fenster geschlossen?) und ruhen sich erst einmal unter dem vorstehenden Dach aus. Als die ersten offensichtlich erschöpft von dort auf uns herunterfallen, ist es mit meiner Geduld am Ende, und ich laufe zur Rezeption, um den dreisten Überfall zu melden.

Das Ende vom Lied: eigentlich wollten wir nach dem Dinner in Ruhe packen, aber jetzt werfen wir in Windeseile alle in Schlafraum und Bad verstreuten Sachen in unsere Koffer, die Tagesrucksäcke und irgendwelche Tüten und machen es den Ameisen nach. Wir ziehen in eine andere Unterkunft. 

 

 

7.  Hotel Cuna de Angel. Wer ist Barakiel?

 

Wir verstauen unsere Siebensachen im Auto und machen uns am frühen Morgen auf den Weg, denn diesmal liegt eine längere Fahrt vor uns. Da wir es bis zu unserer nächsten Lodge auf der Halbinsel Osa zeitlich jedoch nicht schaffen können, haben wir als Streckenunterbrechung für eine Nacht das Hotel Cuna de Angel gebucht.

Die offizielle Adresse lautet: "9 Kilometer südlich von Playa Dominical Puntarenas, Puertocito." Geübt, wie wir mittlerweile sind, finden wir das Hotel fast auf Anhieb.

 

Ein bisschen merkwürdig kommt mir die Wiege des Engels (so die Übersetzung des Hotelnamens) schon vor: die Zimmer sind mit ihren dunklen Holzmöbeln im Kolonialstil gehalten, im Garten stehen asiatische Statuen, Steinlaternen und Vasen, und das sehr schöne, luftige Restaurant mit Blick auf den Pazifik erinnert mich mit seiner Form an ein südafrikanisches Rondavel.

Später lese ich, dass die Architektur des Restaurants einem Zeremonienhaus der Boruca nachempfunden ist, einem indigenen Volk, von dem wir später noch hören sollen. 

 

Natürlich begegnen uns überall und bis hin ins Bad Engel, meist in geschnitzter Form, und jedes Zimmer trägt statt einer Nummer den Namen eines Engels. Unserer heißt Barakiel. Noch nie von diesem Engel gehört, dabei war ich auf einer Nonnenschule!

Überhaupt wird hier viel mit religiösen Symbolen der verschiedenen Kulturen gearbeitet, aber von diesen ganzen "kosmischen Ebenen", "universalen Elementen" und Codes verstehe ich nichts.

 

Dafür genieße ich den über unsere Terrasse und den Garten leicht zu erreichenden Infinitypool und freue mich darüber, dass das Essen gut schmeckt, obwohl es zu 100% glutenfrei daherkommt. Was will frau mehr? 

 

 

 

8. Casa Corcovado Jungle Lodge. Von Sundownern und wilden Tieren

 

20 Jahre lang saß er an diesem tropischen Strand und dachte: "Dieses Paradies ist einmalig, aber hätte ich nur ein kaltes Bier, eine heiße Dusche, einen Pool, ein gutes Sirloin-Steak, ein komfortables Bett und nette Leute um mich herum …"

Dann machte der in Chicago geborene Steven Lill seinen Traum wahr, kaufte ein Stück Land auf der Halbinsel Osa, und im Jahr 1974 fing er an, den Dschungel zu roden. Erste Experimente als Kakao-Farmer befriedigten ihn nicht, denn er war mehr an der wilden Natur und ihren Tieren interessiert. Da kam ihm gerade recht, dass das Land anfing, seine Regenwälder zu schützen. Steven engagierte sich, wandelte seine 69 Hektar Land in ein Reservat um und schloss sich mit anderen Siedlern zusammen, um das Holzfällen, Jagen und Goldschürfen in der Umgebung zu bekämpfen.    

Als 1975 der an sein Grundstück angrenzende Corcovado National Park gegründet wurde und die ersten Touristen kamen, entschloss sich Steven, ihnen eine umweltfreundliche Unterkunft zu bieten.

Im Jahr 1994 eröffnete er dann das Casa Corcovado, das im Laufe der Jahre beständig wuchs. Heute bietet es 14 in einem großen, tropischen Garten versteckte Bungalows und hält noch immer an den umweltfreundlichen und nachhaltigen Prinzipien des Gründers fest, ohne dabei den Komfort zu vernachlässigen.

 

Unsere Anreise ist wieder recht abenteuerlich. Nach 886 gefahrenen Kilometern geben wir unser Auto in Sierpe ab und werden per Boot in etwa anderthalb Stunden Fahrt über den Rio Sierpe mit seinem riesigen Mangrovenwald und den Südpazifik zum steinigen Strand der Lodge gebracht. Es gibt keinen Steg, und wir müssen über den Bootsrand ins Wasser steigen, um dann an Land zu waten. Zum Glück brauchen wir uns nicht um unser Gepäck kümmern, und auch wir selbst werden per Traktoranhänger den steilen Berg hoch zur Lodge gekarrt.

Dort erwarten uns zur Begrüßung freundliches Personal, ein erfrischendes, feuchtes Tuch, ein kühler Drink und ein kleiner Lunch in der offenen Bar. Unser Bungalow mit eigenem Garten, Sitzgarnitur und Hängematte drumherum ist ausgesprochen geräumig und ansprechend möbliert. Auch hier gibt es eine wunderbare Außendusche, und im Zimmer machen rundherum angebrachte, unverglaste Fensterfronten mit Holzlamellen sowie zwei Deckenventilatoren die Hitze erträglicher. Dass wir hier mitten im Regenwald sind, davon künden zwei zur Einrichtung gehörende riesige Schirme.      

 

Vor dem hervorragenden Abendessen wandern wir zum "Margarita Place" mit seiner kleinen Bar, gönnen uns einen Cocktail und sehen dem Sonnenuntergang zu, während ein Nasenbär vorbeikommt und ein Tukan-Pärchen auf dem Baum über uns die letzten Sonnenstrahlen genießt. Pura Vida!

 

Was mir an dieser Lodge besonders auffällt, das ist, dass hier kein Tier gefüttert wird, auch nicht die Vögel. Trotzdem sind sie da und lassen sich ab und zu blicken: nachmittags turnen Klammeraffen in den Bäumen vor der Bar und morgens streift ein Tapir (ein Tapir! Ich bin hellauf begeistert!) durch unseren Garten. Und nach einer Nacht voller Regen und Gewitter wecken uns pünktlich um 5.30 Uhr die Brüllaffen.

 

 

Die Halbinsel Osa ist das Gebiet mit der höchsten Biodiversität der Erde, und natürlich machen wir auch an einem der Tage eine Exkursion in den Corcovado Nationalpark. Um 6.20 Uhr schon gibt es Frühstück, damit wir um 7.30 Uhr starten können; der gut gelaunte Marvin mit seinem riesigen Dreibein samt draufmontiertem Spektiv erwartet uns schon. Marvin ist ein Kind des Regenwaldes und erzählt uns, wie er schon als kleiner Junge durch den Wald gestreift ist, Tiere beobachtet hat und alle Früchte gekostet. Sehr zum Leidwesen seiner Mutter, die sich dann um seine Bauchschmerzen kümmern durfte. Marvins Augen strahlen dabei, und wir fühlen, wie sehr er seine Heimat liebt.

Der Sendero Marcos Reyes (Marcos Reyes-Weg) führt entlang der Küste und ist zu meinem Glück ohne Steigungen, aber wir müssen über Pfützen und Schlammlöcher springen, auf wackeligen Baumstämmen über kleine Bäche jonglieren und zweimal sogar einen Fluss durchqueren: Schuhe aus, durch, Schuhe wieder an. Mehrmals bin ich froh, dass ich mir einen Wanderstab habe geben lassen. Dieser einfache Ast ist ein wunderbares, drittes Bein für die ziemlich ungeübte Wanderin.

 

Aber die Landschaft und vor allem die Tierwelt entschädigt für alles. Als erstes läuft uns ein Hokko über den Weg, den man hier "wild turkey" nennt. Wir haben diesen Hühnervogel schon in dem riesigen Baum vor dem Restaurant der Lodge gesehen, aber so nah waren wir ihm noch nie. Marvin zeigt uns Spinnen, Termiten und Bienen, dann winzige Vögel, die im Unterholz um einen selbstgeschaffenen "Tanzplatz" herumhüpfen und unter einem Bananenblatt schlafende Fruchtfledermäuse. Die hätten wir allein nie entdeckt; ebenso wenig wie das Faultier hoch oben im Baum. Selbst durch Marvins Spektiv sehe ich erst einmal nur ein Fellbündel. Aber auf einmal bewegt sich ein winziges Gesicht in dem Fell: el perezoso, das Faultier, hat ein Baby!

Höhepunkte des Tages sind jedoch die hellroten Aras und die Gruppe Nasenbären, die vorsichtig, aber ohne Scheu um uns herum ihrer Futtersuche nachgehen. Ihnen könnten wir stundenlang zusehen, aber wir müssen zurück.

 

Zur Belohnung warten ein exzellentes Picknick am lodgeeigenen Strand auf uns, Liegestühle und Hängematten. Und - nachdem uns der Traktor wieder zurück zur Lodge gebracht hat - ein "Imperial" in der Bar. Das Bier kommt aus der costa-ricanischen Staatsbrauerei, ist unter Aufsicht eines deutschen Braumeisters gebraut und schmeckt hervorragend.

 

Und dann heißt es bald auch schon Koffer vorpacken, denn am nächsten Morgen muss dieser um 6.30 Uhr abholbereit vor dem Bungalow stehen. Check-out ist nach dem Frühstück um 7.15 Uhr. 

 

 

9. Hotel Villas Lirios. Palmöl und kleine Teufel  

 

Morgens um 4.30 Uhr betrete ich den Garten unseres Bungalows zum letzten Mal und verabschiede mich still von der Corcovado Lodge und dem Nationalpark. Noch ist der großartige Sternenhimmel zu sehen, und über den Palmen hängt eine Halbmond-Schaukel. Der Tapir kommt etwas später auch vorbei, und eigentlich könnte ich es hier noch länger aushalten.  

 

Aber unser Boot wartet. Mit ihm geht es wieder zurück in die zur Lodge gehörende Hacienda in Sierpe, wo wir unser nächstes Auto übernehmen. Insgeheim beglückwünsche ich mich, dass wir uns nicht wie unsere Schweizer Freunde dafür entschieden haben, uns vom Aeropuerto de Bahía Drake mit einem Kleinflugzeug ausfliegen zu lassen. Auch in der Drake Bucht gibt es nämlich statt eines komfortablen Stegs nur eine nasse Anlandung. Bei ziemlichem Wellengang müssen unsere Mitreisenden über den Bootsrand klettern und durch die Fluten zum Strand waten. Um dann mit nassen Klamotten ins Flugzeug zu steigen, stelle ich mir vor. Marvin ist mitgekommen, um beim Gepäck und den Formalitäten zu helfen. Der Costa-Ricaner ist nicht besonders groß, und das Wasser reicht ihm bei etwas höheren Wellen bis zum Bauch. Aber er winkt und verabschiedet sich von uns mit einem breiten Grinsen.   

 

Von Sierpe aus fahren wir zurück in den Norden. Schon bei der Herfahrt sind sie uns aufgefallen, die Palmölplantagen, die sich über viele Kilometer rechts und links der Straße hinziehen. Mögen die Palmen auf den ersten Blick noch schön exotisch erscheinen, so handelt es sich hier um reine durch Zucht und Gentechnik auf Ertrag getrimmte Exemplare. Die viele Hektar großen Pflanzungen, in denen die Palmen in Reih und Glied stehen, sind eine ökologische Wüste. Kein Tier, kein Vogel ist zu sehen, "selbst Ameisen scheinen hier seltener zu sein als in Hotelzimmern", las ich irgendwo.

 

Nationalparks, Schutzzonen, biologische Reservate, Wald- und Tierschutzreservate sowie Privatreservate Costa Ricas machen mehr als ein Viertel der gesamten Staatsfläche aus; so viele geschützte Gebiete kann prozentual kein anderes Land der Welt vorweisen.

Darüber wird aber leider oft vergessen, dass auch in diesem Naturschutz-Musterland aus Profitgier Regenwald platt gemacht wird und Tausende von Tonnen Herbizid versprüht. Effektiver als mit Monokulturen kann man Tiere und Pflanzen kaum ausrotten.     

 

Abends im Hotel mache ich mich dann per Internet weiter schlau über Palmöl und Palmkernöl, die laut Greenpeace und WWF heute in fast jedem zweiten Produkt stecken, das in deutschen Supermärkten zu kaufen ist, von Nahrungsmitteln und Reinigungsmitteln bis hin zu Kosmetikartikeln.

Im Jahr 2019 wurden laut Wikipedia allein in Deutschland 1,26 Millionen Tonnen Palmöl verbraucht, eine für mich unvorstellbare Menge.

 

Wer wissen will, wie er seinen Verbrauch an dem auch gesundheitlich nicht unbedenklichen Palmöl herunterschrauben kann, der braucht nur zu googeln. Unter dem Stichwort "Palmöl vermeiden" verzeichnet die Internet-Suchmaschine 124.000 Ergebnisse.

 

 

Um die Mittagszeit und bei über 30 Grad erreichen wir Quepos und stolpern quasi über das "Bahia Azul", ein großes, direkt an der Lagune liegendes, offenes Restaurant. Ziemlich rustikal geht es hier zu, aber das Personal ist schnell und freundlich, der Fisch und die Spaghetti schmecken gut, und die frische Seebrise, die um unseren Tisch in der ersten Reihe weht, ist unbezahlbar. Alte Fischerboote, rostige Lagerschuppen mit Wellblechdächern, neugierige Iguanas neben uns und Fregattvögel über uns, dazu eine fette Mucke aus riesigen Lautsprechern … so kann man es hier aushalten. Wir genießen die Stimmung, beobachten einen Pelikan, schauen den Fischerbooten zu, die in den Hafen einlaufen und schalten um. Vom Expeditionsmodus in den Urlaubsmodus.

 

Der Urlaubsmodus geht in unserem Hotel (Adresse: "50m nördlich der Manuel Antonio Schule, direkt am Haupteingang von Bario Lirio in Manuel Antonio") gleich weiter. Es ist schon etwas in die Jahre gekommen, aber sehr schön um einen tropischen Patio herum angelegt. Mit Springbrunnen, riesigem Baum und allerlei tropischen Gewächsen. Schönes Restaurant, gut bestückte Bar und direkt vor unserem Zimmer mit Terrasse einer der beiden Pools. Die fast perfekte Location, um die drei letzten Tage mit Relaxen und kleinen Ausflügen zu verbringen.

 

Eigentlich hatten wir dieses Hotel als optimalen Ausgangspunkt für einen Besuch im Manuel Antonio Nationalpark ausgesucht, aber um das vorwegzunehmen: diesen Besuch schenken wir uns.

Der Nationalpark ist eines der kleinsten, aber auch eines der schönsten und beliebtesten Naturschutzgebiete des Landes, ist überall zu lesen. Ein kleines Paradies mit drei Stränden, mit zahlreichen Leguanen und Faultieren, mit Nasenbären, Gürteltieren und Affen.

 

Laut den im Hotel ausliegenden Informationen bekommt man die Tickets für den Park nur in einer bestimmten Bank, und der Schließungstag des Parks wurde wegen Corona von Montag auf Dienstag verlegt. Alles nicht ganz nachvollziehbar, zudem sind wir ja auch nicht mehr im Expeditionsmodus. Wir brauchen nicht noch eine Regenwald-Führung, wollen auch nicht mehr wandern oder auf Hügel klettern, und am Strand liegen konnten wir noch nie.

 

Was uns aber letztendlich abschreckt, das sind gut ein Dutzend "Kundenfänger", die in der Nähe des Parkeingangs arbeiten und die Autofahrer bestürmen. Sie sind bedeutend aufdringlicher als die am Arenal, wollen uns unbedingt auf einen Parkplatz lotsen und erklären, nur mit ihrer Hilfe bekämen wir eins der auf täglich 600 beschränkten Tickets für den Park. Ein junger Mann will uns besonderen Druck machen. Er hat sich ein Fantasie-Namensschild an seine Camouflage-Jacke geheftet und versucht uns weiszumachen, nur mit einem offiziellen Führer wie ihm käme man in den Park. Als wir nicht auf sein Angebot eingehen, wird er sogar leicht aggressiv, und uns bleibt nichts anderes übrig, als das Autofenster wieder hochzukurbeln und zu wenden. So senil sind wir dann doch noch nicht, dass wir auf so etwas hereinfallen. 

 

 

So vergehen die letzten Tage im geruhsamen Urlaubsmodus. In einem Supermarkt erstehen wir die berühmte Lizano Salsa (unabdingbar, wenn wir zuhause Gallo Pinto nachkochen wollen), wir sitzen auf einer Bank an der Promenade und beobachten Leguane, fotografieren Fischerboote im Hafen und testen Gaststätten in der Umgebung, in denen es für Vegetarier mehr gibt als die übliche Pasta mit Tomatensauce. Vom "Restaurante El Avión", dessen Herz eine alte Fairchild-C-123 bildet über die "Falafel-Bar" bis hin zum "Colina's Steak House and Pizza" mit seinen riesigen Holzofen-Pizzas.

Hier vergnügen sich am frühen Abend bei nur vier Gästen etwa sechs junge Angestellte, lachen und unterhalten sich blendend. Und führen uns eindrucksvoll vor Augen, dass tatsächlich viele Köche den Brei verderben: der Boden unserer Pizza ist teilweise schwarz und ungenießbar. Aber das Imperial war kalt und lecker.   

 

Einer unserer Ausflüge führt uns nach Dominical. Wir mögen die Atmosphäre an kleinen Surferstränden, aber hier ist auch der Ort voll und ganz in der Hand der Surfer und macht seinem Namen als "Happy Hippie Surf Town" alle Ehre. Parallel zum Strand fahren wir durch eine gefühlt kilometerlange Allee, gesäumt von Palmen, bunten Badetüchern und Pareos. Lückenlos dazwischen die Verkaufsstände mit dem bereits erwähnten Touri-Kitsch. Kann man alles mögen, muss man aber nicht. Viel schöner finden wir es, im Schatten des gemütlichen "One Love"-Cafés zu sitzen und bei Cappuccino und rollos de canela (hurra! Auch in Costa Rica gibt es Zimtschnecken!) dem bunten Treiben aus sicherer Entfernung zuzuschauen.

 

 

Auf einem unserer Streifzüge durch Quepos entdecke ich im "Little Things"-Laden mit seinen geschmackvollen Souvenirs an einer Wand verschiedene Masken und bin sofort angezogen von ihrer Kunstfertigkeit und den lebendigen Farben. Der freundliche Ladeninhaber weiß einiges darüber zu erzählen:

 

Diese Masken sind aus Balsaholz und werden von den Boruca gefertigt, einem der acht noch verbliebenen Indio-Völker in Costa Rica. Die etwa 2000 Köpfe zählenden Boruca, die größtenteils in einem indigenen Reservat in den Talamanca-Bergen im Süden des Landes leben, betreiben Landwirtschaft und halten Vieh. Kunst und Kunsthandwerk haben bei ihnen eine lange Tradition, wobei das Herstellen und Bemalen von Masken besonders beliebt ist.

 

Die Masken stellen meist Teufel dar und werden von den Boruca noch heute beim Danza de los Diablitos (Tanz der kleinen Teufel) getragen. Dieses jährlich stattfindende, dreitägige Fest geht vom 31. Dezember bis zum 2. Januar. Die männlichen Mitglieder des Stammes führen dabei in kunstvollen Kostümen und Masken einen rituellen Tanz auf, der an die spanische Eroberung und die Kämpfe zwischen Ureinwohnern (die Teufel) und spanischen Conquistadores (der Stier) erinnert. Im Tanz triumphieren die Boruca über die Spanier, aber hier geht es um mehr als den Sieg über vergangene Feinde. In diesem Tanz kämpfen sie auch darum, in der modernen Welt ihre Spiritualität und Harmonie mit der Natur behalten zu können und über die aktuellen Bedrohungen ihres Volkes und ihrer Lebensweise zu siegen.

 

Ich schlafe eine Nacht über der Frage, welche der zu Recht nicht billigen Masken ich kaufen will, und dann ist klar: kein Teufel (ein Symbol, das die Boruca von den katholischen Spaniern übernommen haben) soll es sein, sondern ein Tier, das wir auf unserer Reise leider nicht gesehen haben, ein Jaguar.

 

Das Exemplar, das ich heraussuche, gefällt mir besonders gut wegen seiner Farben und der Feinheit des Pinselstrichs. Der Ladenbesitzer, der seine Künstler alle persönlich kennt, verrät mir dazu, dass der Hersteller ein 17jähriger Junge ist; sein Name: Luis Kenner

.

 

Danke, Luis! Dein Kunstwerk schmückt jetzt eine Wand in unserem Esszimmer und erinnert mich täglich an unsere spannende Reise durch dein schönes Land.

 

 

 

© 2022


 

Ich hoffe, Euch haben meine Geschichten aus Costa Rica gefallen.

Solltet Ihr Anmerkungen dazu haben; hier ist der Platz dafür:

 

Kommentare: 7
  • #7

    Hedi (Sonntag, 26 Juni 2022 11:18)

    Liebe Beate,
    Dein Bericht lässt mich etwas atemlos in meinem Lieblingssessel zurück. Boah! Das ist wahrhaftig eine Expedition und keine "Reise", und ich bewundere euch ob eures Enthusiasmus und eurer Kondition.
    Da ist es fast tröstlich zu lesen, dass auch du zwischendurch einfach für dich sein willst und auf eine der vielen guided tours verzichtest. Sicher will man viel sehen, muss aber nicht wirklich "alles" vor Augen gehabt haben, um die Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Auf jeden Fall ein atemberaubender, plastischer Bericht in gewohnt guter Sprache. Über die Fotos sage ich schon mal gar nichts mehr,
    Von dem Abenteuer Costa Rica werdet ihr noch lange zehren können, vielleicht sogar müssen - wer weiß, ob und wie man in diesen merkwürdigen Zeiten noch unbedenklich reisen können wird.
    Die Maske im Esszimmer muss ich mir mal unbedingt in natura ansehen!
    Hasta entonces,
    Hedi

  • #6

    Jutta Dotzler (Mittwoch, 01 Juni 2022 12:51)

    Hola chica! Welch Genuss die Mittagspause mit dir und deinem Reisebericht zu verbringen. Für kurze Zeit konnte ich aus dem Büroalltag abtauchen und in die Ferne schweifen. Hasta la vista Juanita

  • #5

    Blula (Sonntag, 29 Mai 2022 10:02)

    Hallo Beate !
    Du hoffst, dass uns Deine Geschichten aus Costa Rica gefallen haben?
    Ich bitte Dich! Sie waren unterhaltsam, vergnüglich und im höchsten Maße informativ. Ich freue mich jedesmal, wenn ich von Deinen Reisen in alle Welt lese. Man fühlt sich dabei einfach so richtig mitgenommen. Ich wüsste niemanden, der besser und packender von seinen Reisen erzählen kann wie Du. Man kann gar nicht genug davon bekommen. Die Spannung kommt nie zu kurz, da Du es einfach verstehst, Deine Berichte auch immer wieder mit kleinen, fesselnden Episoden anzureichern.
    Ja, ich habe Teil 1 und 2 gerade förmlich verschlungen. Danke dafür.
    LG Ursula

  • #4

    Zypresse (Samstag, 28 Mai 2022 10:04)

    Oh, wie schön Ihr es hattet. Soviel Natur, Dschungel - nur Ameisen, nein, die wollte ich auch nicht haben. Danke fürs Mitnehmen auf Eure Reise und beste Grüße aus dem Dorf an der ... Du weißt schon ;-)!

  • #3

    Ildiko (Mittwoch, 25 Mai 2022 12:27)

    Liebe Beate,
    mit dir durch Costa Rica zu reisen war ein erstklassiges deja vue. So viele schöne Parallelen zu unserer Reise 2004, aber auch sehr viele Unterschiede. Reisen hat sich in den letzten 20 Jahren ja sehr verändert, das ist mir nach deinen Berichten über Costa Rica mal wieder richtig klar geworden. Viel mehr Menschen sind unterwegs, viele wollen mit eigenen Augen sehen was täglich in schönen bunten Bildern gezeigt wird, und so kommt es an den Hotspots zu dem, was unschön mit overtourism bezeichnet wird. Manuel Antonio scheint mir dafür ein Paradebeispiel zu sein. Aber zum Glück bleiben immer noch genug Hidden Places, man muss im Vorfeld nur zwischen den Zeilen lesen und vor Ort dann aufmerksam sein. Deshalb sind Berichte wie deine so wertvoll, danke für alte Erinnerungen und neue Inspiration. Denn in Costa Rica wartet noch einiges auf uns.

  • #2

    Heike, die wasserhexe (Dienstag, 24 Mai 2022 12:01)

    Liebe Beate, schön, dass ich nochmals mitfahren durfte.
    Es hat sich offensichtlich ganz krass viel seit 2007 verändert...hatte deswegen gerade mein Buch aus dem Schrank genommen.
    LG Heike

  • #1

    Tina (Montag, 23 Mai 2022 19:44)

    Hallo und danke fürs Mitnehmen auf diese wahrlich abenteuerliche Tour!
    Während ich selbst gerade in den Südtiroler Bergen fernes Donnergrollen vernehme und daher vorsichtshalber schon in meinem Bauernhofzimmer chille, lese ich über exotische Tiere, enorme Pflanzenvielfalt, unbekannte Kultur und staune über Johns Wagemut (zipline im Dschungel...wow!!).
    Die allermeisten Lodges hätten mir sicherlich auch gefallen, aber bitte ameisenfrei ;)
    Das Klima wäre jedoch weniger geeignet für mich.
    Und so staune und grüsse ich aus den Bergen,umgeben von weniger exotischen,dafür nützlichen Tieren ( Kühe,Ziegen,Schafe,Hasen,Hund&Katz).
    Lg,Tina