Zwei Nächte in einem Baumhaus

oder Mit den Wölfen heulen.

 

"Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!" - "Dass ich dich besser fressen kann!" Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.

Als wir auf dem Parkplatz des Geländes aus dem Auto aussteigen, empfängt uns schon das Geheul der Wölfe – und sofort fühlen wir uns willkommen und zuhause.

Wir sind in Dörverden (Niedersachsen), wo im Jahr 2010 das Wolfcenter eröffnet wurde, und haben für zwei Übernachtungen eines der Baumhäuser gebucht. Kein billiges Vergnügen, aber ein wahrer Glücksgriff, wie sich herausstellt. Das Baumhaus ist gemütlich eingerichtet, verfügt über eine Fußbodenheizung und sogar einen Whirlpool. Es gibt eine gut bestückte Minibar, einen Kaffeevollautomaten und alles, was der Besucher so brauchen könnte, vom Fernglas über Decken bis hin zu Taschenlampen und Schuhanzieher. Das Frühstück und der Picknickkorb zum Abendessen (Standard, Vegetarisch oder Vegan) werden vor die Tür des Baumhauses gebracht. Wir fühlen uns verwöhnt  wie in einem Sterne-Hotel, und vor allem: unsere Unterkunft steht direkt über einem der Wolfsgehege, so dass wir durch das große Panoramafenster und von der Dachterrasse aus einen ungestörten Blick auf die Hauptpersonen des Centers haben. In unserem Fall sind das Cosmo und Luna, zwei Kanadische Wölfe. Wenn sie in der Morgen- oder Abenddämmerung auf Kontrollgängen durch ihr Revier streifen, sind sie mit ihrem weißen Haarkleid besonders gut zu erkennen. 

Baumhäuser: s. Tree Inn

 

Außer Cosmo und Luna leben momentan acht weitere Wölfe in den Gehegen des Centers, das auch als Auffangstation dient. Letzter Zugang ist Yari, der jüngste Wolf im Gehege, der im Landkreis Verden als offensichtlich verwaister herumirrender Welpe eingefangen und im Wolfcenter mit den beiden Altwölfen Remo und Sirius (beide schon stolze 15 Jahre alt) vergesellschaftet wurde. Bei einer Fütterung können wir miterleben, wie pfeilschnell der Kleine ist und seinen alten Freunden teilweise das Futter vor der Nase wegschnappt. Aber er weckt auch die Lebensgeister der beiden neu. 

Wir erlebten eine kurzweilige Führung und Schaufütterung mit Judith, einer studierten Biologin. Sie weiß einfach alle Fragen zum Thema Wolf zu beantworten und führt mit viel Humor durch die etwa  einstündige Veranstaltung.

Nicht nur von den Besucherführern kann man viel über Wölfe erfahren (und eventuelle Vorurteile und Ängste abbauen), sondern auch über die vielen Schautafeln an den Gehegen und in der großen multimedialen Erlebnisausstellung, die vom "Universum Bremen" konzipiert wurde, sowie über eine spannende Doku im Filmraum.

 

Und wer danach eine Pause braucht, der kann sich im Restaurant stärken, im Shop stöbern, Präriehunde und Silberwölfe beobachten, Ziegen streicheln oder die Alpakas besuchen; das Jüngste war bei unserem Besuch gerade drei Tage alt. Für Baumhaus-Bewohner liegt sogar eine Tüte mit Futter für die Alpakas bereit, das man nach der Schließung des Zoos um 18 Uhr an die Tiere verfüttern darf. 

Alpakas: s. Lorenzos Alpakas

Und wenn das alles jetzt zu sehr nach Lobhudelei oder Werbung klingen mag: ich war wirklich beeindruckt von dem Wolfcenter, das von Frank und Christina Faß nach kanadischem Vorbild gegründet wurde, und das immer wieder interessante Events für große und kleine Besucher anbietet. Schaut euch einfach mal die Webseite an: Wolfcenter    

 

Hier schreibt das Ehepaar auch: " Wir … sind fest davon überzeugt, dass ein Zusammenleben mit Wölfen in Deutschland möglich ist, wenngleich es auch Konflikte zu lösen gilt. Dies kann unserer Meinung nach nur gelingen, wenn von allen Beteiligten ein 'Mittelweg' gegangen wird – also abseits extremer Haltungen für oder gegen Wölfe."

 

Dem brauche ich nichts mehr hinzufügen.

 

 

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Nachtrag:

 

Jedem dürfte es klar sein, dass Wölfe in einem Gehege anders leben und sich anders verhalten als in freier Wildbahn.

 

In der Natur leben die sozialen Tiere in Familienverbänden, das heißt in einem Rudel mit Elternpaar und Nachwuchs. Jedes Rudel besitzt ein Territorium, das in Deutschland - abhängig von dem Angebot an Nahrung (meist Rehe und Wildschweine) - etwa 100 bis 350 km² groß ist.

Das Elternpaar ist das Oberhaupt der Familie und übernimmt die Führung. Zur Familie gehören die aktuellen Welpen und die Jungen der Vorjahre, die sich auch um die Aufzucht der Jüngsten mitkümmern. Im Alter von ein bis zwei Jahren verlassen die Jungwölfe das Rudel, um ein eigenes Revier zu finden und eine Familie zu gründen.

 

Dieses Verhalten ist in einem Gehege natürlich nicht möglich, und so werden die Wölfe nicht in Rudeln gehalten, sondern in "Gruppen". Cosmo und Luna beispielsweise sind ein Geschwisterpaar, und Remo und Sirius sind Brüder. Wurfgeschwister sind auch die Hudson Bay Wölfe Kimo und Dala. Nur die europäischen Grauwölfe Milan (Rüde) und Finja (Fähe) sind ein echtes Paar. Finja durfte auch einmal einen Wurf bekommen. Da es allerdings schwierig ist, Jungwölfe abzugeben (eine Auswilderung verbietet sich bei an den Menschen gewöhnten Wölfen von selbst) und aus Gründen der drohenden Inzucht und Überpopulation bekommen die Fähen Verhütungsmittel.

 

Klar, das alles ist nicht natürlich. Aber gerade für Menschen, die Ängste vor dem "Menschenfresser" haben und bei Kindern leistet das Center mit seinen Wölfen und den umfangreichen Informationen hilfreiche Aufklärungsarbeit. Hier kann man lernen, den Wolf besser zu verstehen, und wie man sich beispielsweise bei Begegnungen zu verhalten hat. In anderen Ländern und Kulturen geht das schließlich auch.